Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
aufeinander, nickte ihm zu. Und wieder spürte sie zweierlei. Fremd und fern war er ihr, waren sie einander, und gleichzeitig vertraut und in einem Einvernehmen, wie sie es noch niemals zuvor mit einem Menschen erlebt hatte. Sie spürte ihren Herzschlag, und eine eigentümliche Ruhe legte sich darüber. Kein Aufruhr. Kein Verwundern. Ein Erkennen. So war es. Und etwas in ihr wusste, dass es Ryss ebenso erging. Sie holte einmal tief Luft, wandte sich wieder Juli zu, die zu brabbeln begonnen hatte. Draußen polternde Schritte auf der Außentreppe, Stimmen und ein Lachen. Die Tür ging auf, Appel und ein junger Mann kamen herein.
Hedwig war sogleich auf den Beinen.
„Er begleitet uns“, sagte Appel atemlos, während der Jüngling, einen Arm in der Luft und die Tür mit einem Fußtritt schließend, sich in einen rehfarbenen Ledermantel zwängte, der ihm zu klein schien.
„Gut denn“, nickte Henner. „Gebt acht. Und bleibt in der Wohnung.“
„Mir ist eingefallen, wo ich deinen schwarzen Beschützer schon einmal sah!“, sagte Appel, während sie die Straße entlang hasteten. „Im ‚Schwert‘ war’s. An Martini. Er saß bei uns am Tisch. Hat gesungen. Unverständliches Zeug in einer unverständlichen Sprache.“ Appel kicherte.
„Walisisch“, kam es Hedwig von allein über die Lippen. Wieder zweierlei Empfindungen, wie sie flüchtig bemerkte. Längst war sie in Gedanken bei Philipp, und gleichzeitig spürte sie einen leisen Stolz, da sie um Ryss Bescheid wusste. Dazu kam nun das Herzklopfen, als sie sich jener Stelle auf der Straße näherten, da sie keine Stunde zuvor noch in den Fängen dieser Ritter gestanden hatten. Sie äugte umher, der junge Mann, der an ihrer Seite ging, tat das ebenfalls.
Sie eilten sich. Bogen in die Jakobsgasse ab, schauten über die Schulter zurück, ob ihnen auch niemand folgte. Hedwig konnte sich nun kaum mehr zügeln. Hätte der rutschige Untergrund es nicht verhindert, sie wäre gerannt. Juli vor ihrer Brust ließ ein Gemecker hören, das jeden Augenblick in Weinen ausarten konnte. Sie hatte Hunger.
Als sie das Haus der Witwe Obrig betraten, schlug ihnen der Geruch nach Holzdielen und kaltem Rauch entgegen.
„Die Witwe scheint noch immer nicht zurück“, flüsterte Appel und drängte sie die Treppe hinauf. Der junge Mann hielt sich hinter ihnen.
Mit leisem Quietschen öffnete sich die Tür zu Kilians Unterkunft. Hedwig war nur wenige Male mit Philipp hier gewesen. Kilian kam meist zu ihnen, denn seine Kammern waren kleiner als die ihren. In der ersten fanden sich ein Tisch und zwei Stühle, eine Lade. Unter dem Fenster, das hinaus auf den Hackteufel sah, lag ein alter Sattel neben einem großen hölzernen Bottich, allerlei Zeug, für das Hedwig kein Auge hatte. Sie bemerkte, dass Appel dem jungen Mann mit einer Geste bedeutete, bei der Eingangstür Stellung zu beziehen, hielt auf die zweite Tür zu, die zu Kilians Schlafkammer führte. Das Fenster hier war deutlich kleiner als das in der angrenzenden Stube, dafür war Kilians Bett erstaunlich groß, fast so groß wie ihres und Philipps. Mit einem Aufschluchzen stürzte sie hin. Unter der dicken Daunendecke, die ihn bis zur Kehle bedeckte, sah sie das geliebte Gesicht, geschwollen und gelblich verfärbt, ein Verband um die Stirn. Verloren und klein wirkte er, obwohl er doch ein langer junger Mann war. „Philipp!“, stieß sie hervor und beugte sich zu ihm hinunter.
Alles
war jetzt in Hedwigs Brust. Bange Freude, ihn zu sehen. Ihre Liebe zu ihm, tief, alt und jung zugleich. Sorge, Verzweiflung ob seines Zustandes, Angst um ihn. Eine Hand lag um ihr Kind, mit der anderen berührte sie zaghaft seine Wange. Tränen liefen. Appel trat hinter sie. „Ringelblumensalbe war das Einzige, was Kilian hier hatte“, sagte sie leise. „Wir haben ihm die Stirn gesäubert, Salbe aufgetan und verbunden. Die muss er sich an der Treppe aufgeschlagen haben, als er dort niederstürzte.“ Appel machte eine kurze Pause, flüsterte schließlich: „Auch die Hand haben wir verbunden. Immer wieder verlor er das Bewusstsein. Aber er wollte reden, wollte sagen, was geschehen war. Und er sprach von dir.“
Hedwig konnte den Blick nicht von ihm wenden. Juli begann leise zu wimmern, als wüsste sie, dass lautes Weinen nicht angebracht sei. Hedwig sank auf die Knie, berührte mit der Stirn den hölzernen Bettrahmen. „Oh mein Gott!“, schluchzte sie.
„Scht“, machte Appel und streichelte ihr die Schulter.
Hedwig sah zu ihr auf. „Er hat
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