Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
Man weiß, dass diese Männer Philipp aus dem Turm befreiten, weil sie fürchteten, er würde unter der Folter den wahren Hergang schildern. Sie bekommen ihre Strafe, ganz gewiss wird man sie bestrafen. Eine solche Schandtat kann der Fürst nicht zulassen!“
Hedwig hörte die Hoffnung in diesen Worten. Und den Zweifel, der stärker war. Kurfürst Friedrich bezeichnete sich als Freund der Edelleute. Und man wusste doch, dass trotz aller Gesetze der Edelmann vor den Richtern besser dastand als der einfache Mann.
„Er ist es also wirklich“, hörte sie den Botenmeister flüstern. Ihre Mutter strich ihr übers Haupt.
„Gib mir das Kind“, flüsterte sie.
Hedwig reichte ihr die schlafende Juli, trat zum Bett und setzte sich auf die Bettkante. Sie schaute in das Gesicht ihres Ehemannes, kämpfte dagegen an, sich schluchzend auf ihn zu werfen.
Philipps Mutter, diese kräftige blonde Frau, weinte. Die gerührten Tränen, die sie bei ihrer und Philipps Hochzeit vergossen hatte, waren nicht mehr als ein friedvolles Plätschern gegen diesen Strom aus Kummer jetzt. „Lass ihn nicht sterben, Herr, bitte. Nimm mir nicht meinen Sohn“, betete sie erstickt. Philipp regte sich nicht.
Der Botenmeister trat vom Bett weg, bat ihren Vater und Philipps breitschultrigen Stiefvater mit einer Geste einen Schritt abseits. Ihre Mutter ging mit Juli in die Stube nebenan, der Botenmeister besprach mit den Männern das weitere Vorgehen. Er würde nun zurück zur Kanzlei eilen, damit er die Herren nicht verpasste, nach denen er Boten geschickt hatte: Hofgerichtsrat Weber oder Rinck, je nachdem, wen der Bote anträfe, Vizekanzler Culmann. Er würde daher nicht warten, bis der Arzt sich Philipps annähme. Er bat sie, später, wenn sie ihre Familien so weit versorgt wüssten, noch einmal in der Kanzlei vorzusprechen, trotz des Sonntags, er würde Anweisung geben, dass man sie einließe und zu ihm führte.
Hedwig hörte das Geflüster des Botenmeisters wie aus der Ferne. Sie merkte plötzlich, wie erschöpft sie war. Sie wollte sich zu Philipp legen und nicht mehr aufstehen müssen. Sie betrachtete ihn. Sie konnte sehen, wie sich die Decke unter seiner Brust sacht hob und senkte. Er lebte. Er musste leben! Was sollten sie und Juli ohne ihn anfangen? Philipps Mutter strich ihrem Sohn wieder und wieder über die Wange, mit zwei Fingern, sacht und zart. Mit dem Ärmel ihres hellen Mantels wischte sie sich Tränen von den Wangen. Hedwig hoffte, der Arzt möge bald kommen.
„Schilfdünn, aber zäh, wie’s aussieht“, raunte der Botenmeister vom Fenster her. „Schleppt sich mit letzter Kraft zu seinem Freund hier.“ Er deutete auf Kilian, der zu den Männern getreten war, nachdem er die ganze Zeit über reglos bei der Tür gestanden hatte. Biber warf einen nachdenklichen Blick auf den Bewusstlosen, schüttelte den Kopf. Schließlich klopfte er sich auf den Bauch, sah die Umstehenden der Reihe nach an und bedeutete ihnen, dass er aufzubrechen gedächte.
Jäh ein Gedanke, rasch war Hedwig auf den Beinen und trat zu ihnen. „Wo ist Ryss?“, fragte sie.
Der Botenmeister wandte sich ihr zu. „Der schwarz gewandete Fremde?“
Sie nickte.
„Unter Bewachung im Torturm. Dort lesen wir ihn jetzt auf und führen ihn zur Kanzlei. Man darf gespannt sein, was er zu sagen hat.“
Hedwig schluckte. „Er kann bezeugen, wie übel mir mitgespielt wurde. Und wir haben das Buch!“
Der Botenmeister nickte, wandte sich zur Tür. Hedwig sah rasch zu Philipp, eilte dann an des Botenmeisters Seite. „Was er zu beantworten hat, habe auch ich zu beantworten. Ich komme mit!“
Da öffnete sich in der Nebenkammer quietschend die Tür, kurz darauf stand der Medicus in der Stube. Beim Anblick der vielen Leute zog er fragend die Augenbrauen in die Höhe. „Handelt es sich bei dem Siechen um einen Mann hohen Standes, der dieses Aufgebot an Gefolge nötig macht?“, sagte er mit einer sehr leisen, sehr ruhigen Stimme.
„Wollten ohnehin gehen“, sagte Biber und wedelte alle mit der Hand hinaus.
Am Bett erhob sich Philipps Mutter. Hedwig trat zu ihr. „Ich muss zur Kanzlei.“
Philipps Mutter presste die Lippen zu einem schmalen Lächeln zusammen, strich ihr über die Wange. „Mein tapferes Mädchen.“ Sie nickte. „Ich bleibe bei ihm. Wenn er zu sich kommt, bevor du wieder hier bist, sage ich ihm, dass du da warst.“
Ein letzter Blick auf Philipp. Der Arzt würde sich nun seiner annehmen. Und so sehr sie an seiner Seite bleiben wollte, selbst wenn
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