Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
war nass, ebenso nasskalt klebte das Tuch des Ärmels auf seiner Haut. Als er bei seinem Rucksack anlangte, drehte er sich noch einmal um. Ja, sie war nicht zu sehen. Ryss ließ die Steine fallen, schulterte den Rucksack, nahm Stock und Steine auf und mühte sich weiter. Eile war geboten, er spürte es. Er erreichte die ausgetretene Furche, seine Augen suchten nach einer geeigneten Stelle, an der er den jenseitigen Hang erklimmen konnte, als er den Kopf nach rechts drehte, langsam, mit einer Gemächlichkeit, die ihn selbst erstaunte. Groß wie Yspaddaden erschien ihm Rotnase, wie er auf der Höhe des Kammes auftauchte, sich aus bauchigen Nebelschwaden schälte, gewichtig auf einem Ross, aus dessen Nüstern Atemwolken hervorstießen wie Schwefellohe bei einem Drachen.
„Damo!“, fluchte Ryss.
Ein zweiter Reiter folgte Rotnase.
Ryss ließ die Steine fallen, den Rucksack sinken.
Schnee spritzte, als Rotnase sein Pferd zum Stehen brachte. Hart griff er in die Zügel, es warf den Kopf hoch, stieg fast.
„Federn und Blut und ein nachlässig verwischtes Feuer.“ Abfällig verzog Haudrauf das Gesicht, seine Stimme troff vor Spott – und Wut. „War nicht schwer, euch zu finden.“
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Der andere Reiter, das sah er jetzt, war nicht der zweite Mann aus der Hütte. Der hier war jünger als Rotnase, wenn auch deutlich älter als Ryss selbst. Er war in einen graugrünen, ärmellosen Umhang aus dickem Filz gehüllt, den man über den Kopf ziehen musste, um ihn anzulegen. Er trug ihn über Lederkleidung, die ab Oberarm und Oberschenkel zu erkennen war. Die längliche Kapuze rahmte ein Gesicht mit zimtfarbener Haut und Lippen in einem dunklen Braun, die wie von Flaumfedern umflockt wirkten. Sein diabolisches Grinsen indes zerstörte den Eindruck fernländischer Schönheit. Er zog dabei kaum merklich die Lippen hoch, genug jedoch, dass Ryss die fehlenden Zähne in der oberen Zahnreihe sehen konnte. Während Rotnase vom Gaul stieg, sich seinen Hut mit der Hahnenfeder zurechtrückte, blieb Zimtgesicht sitzen. Und im Gegensatz zu Rotnase schien er kein Schwert zu haben – unter dem Umhang jedenfalls zeichnete sich keines ab. Das war zwar einerseits gut, wie Ryss in Sekundenschnelle die Lage abmaß, andererseits machte ihn das dennoch nicht zu einem freundlicheren Erdenbewohner, dem man unbedarft gegenübertreten mochte. Sein ekelhaftes Grinsen ließ keinen Zweifel daran, dass er über andere Mittel verfügte, mit einem Gegner fertigzuwerden.
Schnelligkeit war jetzt das Einzige, das ihn und das Mädchen retten konnte. Rotnase zog blank und kam auf ihn zu. Sein Gesicht sprach eine deutliche Sprache. „Wo hast du das Weib gelassen?“
„Oh“, machte Ryss und öffnete in unschuldiger Abwehr die Arme, wobei er mit der Rechten seinen Stock umklammert hielt. „Davongejagt.“ Er verzog missfällig das Gesicht. „Das Kind … und sie wollte, dass ich schleppe ihre Stiefel, das Buch …“ Er zuckte die Schultern.
„So. Das Buch.“ Rotnase blieb einen Schritt vor ihm stehen.
„Sie hat es. Es war ihre Idee, es wegzunehmen Euch.“ Er schüttelte den Kopf. Wich vor Rotnase zurück. Warf einen Blick zu Boden, damit Rotnase dachte, er suche nicht zu stolpern. In Wahrheit sah er nach den Steinen. Im Bücken stieß er dem Hund den Stock in die Eier, ließ ihn dann los, griff sich den größten Stein und schleuderte ihn Rotnase mit Wucht ins Gesicht. Der grunzte überrascht, taumelte und drohte zu stürzen. Ryss sah, dass der andere sofort vom Gaul sprang. Jetzt durfte er keinen Fehler machen. Rasch, die Schleuder! Er nahm sie vom Gürtel und bückte sich gleichzeitig nach einem der kleineren Steine. Abstand zwischen sich und den anderen bringen! Er wich zurück. Maß die Entfernung – und schleuderte. Der Stein traf Zimtgesicht unterhalb des Auges, auch er strauchelte. Ryss strebte den Hang empor. Er hatte keine Steine mehr. Sie lagen am Fuße des Hanges. Er stolperte über einen Ast, jemand griff nach seinen Füßen, er rutschte zurück. Trat. Traf irgendwo. Erlaubte sich einen raschen Blick über die Schulter. Das hübsche Gesicht war wutverzerrt, Blut lief aus einer Platzwunde über die Zimtwange. Auf allen Vieren krabbelte er weiter. Waffe, er brauchte eine Waffe! Seine Augen suchten zwischen Gesträuch und Gestrüpp, seine Hände wühlten im Schnee. Er kam auf die Knie, schließlich auf die Beine. Hörte sich und den anderen keuchen, stapfte voran, sah zurück und bemerkte, wie sich Rotnase in gut zehn Schritt
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