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Das Buch des Vergessens

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Titel: Das Buch des Vergessens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douwe Draaisma
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bearbeite oder interpretiere. Die mangelhafte Übertragung zwischen diesen beiden Systemen sei für das Vergessen von Träumen verantwortlich. Diese Zweiteilungen ziehen sich quer durch die wissenschaftlichen Disziplinen und sind in der Neurologie genauso aufzuzeigen wie in der Psychiatrie und Psychologie. Bezeichnen wir das erste System einmal als ›Produzent‹ und das andere als ›Interpret‹. Dann sind dies ein paar Beispiele:
    Produzent
Interpret
Id, Unbewusstes
Ego
rechte Hemisphäre
linke Hemisphäre
Hirnstamm
Cortex
visuelle Aktivierung
verbale Wiedergabe
diffuse Aktivierung
narrative Intelligenz
    Gemeinsam ist diesen Zweiteilungen, dass der Traum nicht nur eine Quelle oder einen Ursprung braucht, sondern auch etwas, das denkt, vermittelt, übersetzt, ordnet, interpretiert, erzählt, ihm, kurz gesagt, eine Form gibt, mit der wir im wachen Dasein zurechtkommen. Träume verlangen eine Übertragung, und beim Übersetzen kann etwas schiefgehen. Vor allem die Theorie, die linke und die rechte Hemisphäre hätten jeweils einen eigenen Anteil an den Träumen, hat seit den Siebzigerjahren viele Forscher auf den Plan gerufen.
Anmerkung
    Anfänglich schien viel dafür zu sprechen, dass wir mit der rechten Hirnhälfte träumen und die linke diesen Traum zu einer Geschichte verarbeitet, über die wir nachträglich, dank derselben linken Hirnhälfte, sprechen können. Das wäre eine Funktionsverteilung, die sich nahtlos in die herrschenden Theorien über Links-rechts-Unterschiede einfügte. Das Sprachzentrum sitzt bei fast allen Rechtshändern links, genau wie bei der Mehrheit der Linkshänder. Die linke Hirnhälfte würde Aufgaben mit einem strikten und exakt seriellen Verlauf, zu dem natürlich auch Prozesse wie Sprechen undSchreiben gehören, koordinieren. Die rechte Hirnhälfte dagegen würde sich auf die Verarbeitung räumlicher Information spezialisieren, eher synchron als seriell eingestellt sein, Gespür für die symbolische Bedeutung von Bildern und eine größere Sensitivität für den emotionalen Wert von Information haben. Weil Träume eine starke visuelle Komponente haben, war es verführerisch, anzunehmen, in einem schlafenden Hirn sei es vor allem die Aktivität von rechts, die unsere Traumbilder produziert.
    Eine etwas spezifischere Variante dieser Theorie besagte, sowohl rechts als auch links produzierten während des Schlafs Bilder, die jedoch von links sofort in einen logischen, erzählenden Zusammenhang aufgenommen würden, während sich rechts nicht daran gebunden fühle und so für die bizarren, assoziativen, manchmal fast halluzinativen Fragmente sorge, die in so vielen Träumen auftauchen.
    Es gab unterschiedliche Ergebnisse aus experimentellen Studien und Fallbeschreibungen, die Verteilungen wie diese unterstützten. Bei manchen rechtsseitigen Schädigungen verlieren die Betroffenen die Fähigkeit, Metaphern zu verstehen. Sie sind nicht mehr in der Lage, sich zu den verbalen Komponenten der Metapher das Bild vorzustellen, das die übertragene Bedeutung erklärt. Es wurden auch rechtsseitige Schädigungen beschrieben, durch die Patienten die Fähigkeit des Träumens verloren. Außerdem schien während des größten Teils des REM – Schlafs rechts mehr Gehirnaktivität zu sein als links. Gemäß dieser Auffassung wäre der Traum vor allem das Produkt der kreativen rechten Hemisphäre, die Emotionen nicht nur registrieren, sondern ihnen auch symbolischen und überwiegend visuellen Ausdruck verleihen kann. Der linken Hemisphäre fiele dann die undankbare Aufgabe zu, all diese gefühlsbeladenen Bilder auf etwas zu reduzieren, das in Worten ausgedrückt werden kann. Kein Wunder, dass dabei vieles verloren geht, kein Wunder, dass wir den Eindruck haben, der Traum sei so viel reicher und tiefer als die kümmerlichen verbalen Reste, die unsere linke Hirnhälfte produzieren kann.
    Aber dieses anfängliche Bild von ›rechts träumt, links spricht‹ ist durch neue Forschung ein Stück diffuser geworden. Die lebendigsten Träume treten während der letzten Phase des REM – Schlafs auf. Das ist auch der Zeitraum, in dem gerade die linke Hemisphäre die größte Aktivität aufweist. Eine zweite Relativierung entstand aus Studien bei Menschen, die sich einer ›split-brain‹-Operation unterziehen mussten. Bei Patienten mit schwerer Epilepsie wird manchmal operativ eine Trennung zwischen den beiden Gehirnhälften durchgeführt. Dabei wird unten im Hirnbalken, dem Gewebeband, das die beiden Hemisphären

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