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Das Buch des Vergessens

Das Buch des Vergessens

Titel: Das Buch des Vergessens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douwe Draaisma
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Träume haben in dieser Auffassung tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit mit Halluzinationen, die auch von außen zu kommen scheinen, aber in Wirklichkeit vom Gehirn selbst erzeugt werden. Träume haben häufig einen bizarren und launenhaften Verlauf, nicht, weil wir Bindeglieder aus dem Verlauf vergessen haben, sondern aufgrund mangelnder Steuerung aus der Außenwelt. Auch die ›hypnagogen‹ Bilder, die Bilder, die einem beim Einschlafen durch den Kopf gehen und einem, wenn man gerade noch klar genug ist, bewusst machen, dass man gerade dabei ist, einzuschlafen, passen in diese Theorie. Es ist eine schnelle, aufs Geratewohl entworfene Reihe, weil die Ordnung der äußeren Reize schwächer ist und die Reihe der Bilder auf gut Glück entsteht. Klare Worte. Wer versucht, Träume zu erklären, sieht Ordnung, wo Chaos herrscht, sieht Muster in Zufälligkeiten; unser Gehirn ersinnt dummes Zeug.
    Dass wir in der Lage sind, aus Zufallselementen eine kohärente Geschichte zu konstruieren, beweist ein Gesellschaftsspiel, das der Philosoph Daniel Dennett beschrieben hat.
Anmerkung
Das ›Opfer‹ wird kurz aus dem Zimmer geschickt. Wenn der Spieler zurückkommt, wird er zu hören kriegen, einer der Anwesenden habe einen Traum erzählt und er solle nun nur durch das Stellen von Ja-Nein-Fragen den Traumhergang herausfinden. Die anderen aber wissen, dass es gar keinen Traum gibt und dass sie einfach mit Ja antworten sollen, wenn der letzte Buchstabe der Frage aus der ersten Hälfte des Alphabets stammt, und mit Nein auf den Rest. Von dieser Regel dürfen die Teilnehmer nur abweichen, wenn ein Widerspruch zu einer Antwort auf eine frühere Frage entstehen würde. Der Witz des Spiels, so Dennett, liege darin, dass die Antworten, die Hinweisefür die Geschichte geben, vollkommen willkürlich seien und doch immer eine Geschichte entstehe, zwar voller seltsamer Wendungen und Absurditäten, aber dennoch eine Geschichte. Die Antworten sind in diesem Vergleich die zufällig feuernden Neuronen im Hirnstamm (Hobson) oder die willkürliche Aktivierung von Gedächtniskreisen (Foulkes), die Geschichte, die das Opfer schließlich zusammenstellt, ist der Traum.
    Dennett nennt dieses Gesellschaftsspiel ›Psychoanalyse‹, aber das scheint mir unnötig herabsetzend. Selbst wenn die losen Elemente in einem Traum auf Zufallsentladungen beruhen sollten, brauchen Verlauf und Erleben des Traums noch lange nicht bedeutungslos zu sein. Vielleicht stimmt ja das Gegenteil und führt gerade die Art und Weise, wie jemand versucht, Ordnung ins Chaos zu bringen, zu Erkenntnissen darüber, was er denkt, fürchtet und erwartet. Diese eine Geschichte kann Bedeutung haben, weil aus denselben Fäden so viele unterschiedliche Muster gewebt werden können.
»Es ist mir entfallen«
    Während des zweiten Jahres seiner Herrschaft erwacht Nebukadnezar, König von Babylon, eines Nachts so entsetzt und ängstlich aus einem Albtraum, dass er nicht mehr schlafen kann.
Anmerkung
Am nächsten Morgen lässt er alle Seher, Zauberer und Weisen zum Hof kommen, in der Hoffnung, eine Deutung des Traums werde ihn beruhigen. Die versammelten Seher bitten den König, seinen Traum zu erzählen, dann würden sie sich über dessen Bedeutung beraten. Aber das verweigert Nebukadnezar: Er will, dass sie ihm erzählen, was er geträumt hat, dann sei er sicher, dass sie die Wahrheit sagen. Und sie dürften wählen: Wenn es ihnen gelänge, den Traum zu erzählen und zu deuten, werde er sie mit Geschenken überladen; gelänge es nicht, werde er sie in Stücke zerhauen lassen und ihre Häuser vernichten. Die erschrockenen Seher äußern in taktvoll gewählten Worten, niemand könne die Träume eines anderen kennen. Nebukadnezar fasst dies jedoch als ärgerlichen Versuch auf, Zeit schinden zu wollen, und wiederholt seineDrohung. Als die Seher noch einmal zur selben Erklärung greifen und hinzufügen, kein Herrscher der Welt, egal, wie mächtig er gewesen sei, habe dies jemals von Sehern verlangt, verliert er die Geduld und befiehlt, alle Weisen in seinem Reich gefangen zu nehmen und zu töten. Auch an Daniels Tür tauchen Soldaten auf. Zum Glück hilft ihm sein Gott: In einer nächtlichen Vision wird ihm der Traum offenbart. Daniel eilt zum Hof und bietet an, den Traum zu erzählen und zu deuten. Er, Nebukadnezar, habe von einem Standbild von erschreckendem Ausmaß geträumt. Der Kopf sei aus reinem Gold, der Rumpf aus Silber, die Beine aus Kupfer, die Füße teils aus Eisen, teils aus Ton

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