Das Buch des Wandels
Tätigkeit das Versprechen einer Verwandlung enthalten ist. Wir ändern die Dinge, wir machen sie neu. Wer in einer postindustriellen Ökonomie ein solches glaubhaftes Versprechen geben kann, dem wird das Geld regelrecht hinterhergeworfen.
In dieser aufsteigenden Linie haben wir zugleich die evolutionäre Logik der »kreativen Zerstörung« erfasst, von der Joseph Schumpeter schon vor rund 80 Jahren sprach:
»Die Eröffnung neuer, fremder oder einheimischer Märkte und die organisatorische Entwicklung vom Handwerksbetrieb und der Fabrik zu Konzernen wie dem U.S.-Steel illustrieren den gleichen Prozess einer industriellen Mutation – wenn ich diesen biologischen Ausdruck verwenden darf -, der unaufhörlich die Wirtschaftsstruktur ›von innen heraus‹ revolutioniert, unaufhörlich die alte Struktur zerstört und unaufhörlich eine neue schafft.«
Dieser Prozess ist sowohl faszinierend als auch brutal. In ihm manifestiert sich das Wunder des Fortschritts ebenso wie eine ganze Kette der Entwertungen von Tätigkeiten, Sicherheiten, Gepflogenheiten. Die Polarisierung der Einkommen, wie sie in postindustriellen Ökonomien droht, lässt sich mit dieser Dynamik erklären: Das Komplexe, Kreative ist plötzlich nicht mehr nur »etwas mehr« wert als das Einfache, Wiederholende. Sondern tausendfach mehr. Wer Systeme, Innovationen und Designs beherrscht, erzeugt auf den neuen Märkten gigantische Hebelwirkungen. Der Facharbeiter sieht sich um den Lohn seiner schweren Arbeit gebracht, weil er nicht nur mit Maschinen und chinesischen Kollegen, sondern auch mit der »kreativen Klasse«, den Protagonisten des Wandlungsversprechens konkurriert. Rund um das höchste Versprechen, Transformation, tummelt sich eine globale Kaste Hyperkreativer und, häufig genug, sich hyperkreativ gebender Scharlatane, die Millionengehälter abgreifen. Ihr Versprechen lautet: Wir können ganze Firmenkonglomerate verwandeln, ganze Märkte aus dem Nichts erschaffen! Ökonomie wird auf diesem Wege irgendwann schwarze Magie. Manager werden zu Gurus, denen man magische Fähigkeiten zutraut – bis sie im nächsten Gefängnis landen oder einfach auf der »Versager«-Seite der Wirtschaftszeitschriften. Ist es Zufall, dass die »Manager des Jahres«, die in den letzten Jahren auf den Titelseiten der Wirtschaftszeitungen enthusiastisch gefeiert wurden, kurz darauf als Falschspieler oder einfach Überschätzte entlarvt wurden?
Die »Treppe der Wertschöpfungskomplexität« verändert auch ein Grundverhältnis des Kapitalismus: das Machtverhältnis zwischen Kapital und Arbeit. Der Schlüssel dazu liegt in der Frage der Austauschbarkeit. Wer über Kapital verfügt, konnte sich in der tayloristischen Ökonomie Menschenkraft fast nach Belieben kaufen. Arbeiter und Angestellte, die immer denselben Handgriff machen, sind einfach zu kontrollieren und auszubeuten, weil man immer jemand anderen findet, der die gleiche Arbeit ebenfalls erlernen kann. Aber wenn nicht mehr die Herstellung des
Gleichen, sondern die Erzeugung des Neuen das Kraftwerk der Ökonomie ist, werden die Karten neu gemischt. Natürlich kann ein Unternehmen Designer, Erfinder, Tüftler, Forscher, Logistiker, Freaks und Nerds einstellen. Aber um aus Dr. House und seiner Truppe Ergebnisse herauszubekommen, braucht man viel mehr als nur Geld. Man braucht eine Vision, die sich unterscheidet, ein Ziel, das fasziniert, eine Erzählung, der wahrhaft kreative Menschen bereit sind zu folgen. Der »Krieg um die Talente« kehrt die Frontsysteme der Ausbeutungen um. Nicht selten saugen nun die kreativen Supertalente die Firmen aus, statt umgekehrt.
Die vierte Globalisierung
Analysieren wir zur Vervollständigung einen weiteren Wandelfaktor, die Globalisierung. Rekapitulieren wir noch einmal die vergangenen Phasen:
Globalisierung 1.0: In den polynesischen Inselarchipelen entstanden Handelsbeziehungen bereits vor 10 000 Jahren, ebenso in Europa im Zeitalter der Bandkeramik-Kulturen und der Kelten. Seit der Antike wuchsen die Handelswege über Europa, Afrika und Kleinasien hinaus, die Seidenstraße verband China mit dem Mittelmeerraum. Diese Urform der Globalisierung bringt schon seit Jahrtausenden »Preziosen« von einem Ort der Erde zum anderen und war die Grundlage für viele Wandelprozesse, die ich oben beschrieben habe.
Globalisierung 2.0: Die europäische Kolonialisierung der Welt seit dem 15. Jahrhundert war der rohe und eher gewalttätige Teil des Globalisierungsprozesses mit der Ausbeutung von
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