Das Buch des Wandels
»Entscheidung« aber schon sagt, geht es immer auch um den Verzicht auf das »andere Mögliche«. Als die spanischen Eroberer Südamerika erreichten, verbrannten viele Kommandanten ihre Schiffe, um der Mannschaft klarzumachen, dass es keinen Weg zurückgeben würde. Das ist drastisch, aber auch im privaten Leben kann es manchmal weiterhelfen »Brücken abzubrennen«.
Biete Vertrauen an. In normalen »Spielen« zwischen Menschen überwiegt das klassische Optimierungsstreben: Jeder möchte soviel wie möglich für sich selbst herausholen und seine Kosten minimieren. Wie wir in der privaten wie politischen Geschichte immer wieder sehen, führt das irgendwann zur Stagnation und zum miesen Kompromiss. Es gibt deshalb kaum eine bessere Methode des sozialen Wandels, als den Einsatz des Vertrauens zu erhöhen und in Vorleistung zu gehen.
Teile große Gruppen in kleine. Wandel hat es schwer, wenn der Grad der Vernetzung bei den Spielteilnehmern zu hoch ist. Deshalb der Satz »zu viele Köche verderben den Brei«, den man auch als »Wenn alle Senf hineinrühren, wird noch lange kein Pudding draus« übersetzen könnte. Die viel gelobten »sozialen Netzwerke« – Friendster, Facebook, Myspace -, in denen alle mit allen um siebenhundert Ecken »verlinkt« sind, sind mitunter nichts anderes als eine Taktik, nichts tun zu müssen (die!Kung-Strategie des permanenten Palavers lässt grüßen). Wandel fällt leichter, wenn wir ihn in überschaubaren, definierten Gruppen vollziehen, in denen jeder Einzelne Gesicht und Stimme und Präsenz aufweist.
6 HELDEN DES SELBST
Wachstum und Entwicklung unserer Persönlichkeit
Wir haben nie nach uns gesucht – wie sollte es geschehen, dass wir uns eines Tages fänden?
Friedrich Nietzsche
Die größte Gefahr für die meisten von uns ist nicht, dass unser
Ziel zu hoch ist und wir es verpassen, sondern dass es zu niedrig
ist und wir es erreichen.
Michelangelo
Derjenige, der andere kennt, ist weise. Derjenige, der sich selbst kennt, ist erleuchtet.
Laotse
Mein virtuelles Ich
Die wundersame Welt, die viele Jahre so etwas wie mein zweites Zuhause war, begann direkt auf meinem Schreibtisch. Durch das Fenster meines Computerbildschirms wanderte ich hinaus in ein Abenteuer, um mich selbst zu finden.
Im November 2004 – ich weiß es noch wie heute – wurde mein Avatar in der Nähe eines idyllischen Klosters geboren. Bekleidet nur mit einem Wams, einer Hose, einfachen Lumpenschuhen, stand ich mitten im idyllischen Wald von Elvyn, wo Vögel unter riesigen alten Eichen zwitscherten und in den nahen Hügeln Bauern Weinstöcke bearbeiteten.
Anfangs war alles verstörend neu und ungewohnt. Die ungelenken Bewegungen meiner Hände übersetzten sich nicht auf meinen virtuellen Körper. Das Laufen und Springen, der Umgang mit
Waffen und Kleidung, der Gebrauch von Kräutern und Getränken, der Umgang mit den »Questgebern«, den Auftraggebern der anderen Welt, all das verursachte Gefühle von Peinlichkeit und Not. Gleich zu Beginn teilte mir eine blonde Fee in der Kathedrale den Wunsch mit, im nahen Dickicht Wölfe zu töten und Räuber und Gnome zu fangen. Ich stellte mich schrecklich blöd an, starb unzählige Male, erwachte auf dem Friedhof, verirrte mich, wurde von Räubern verprügelt …
Aber ich wuchs und gedieh. Lernte Alchemie und Kräuterkunde, spezialisierte mich mehrmals im Lauf meines avatarischen Lebens, erst auf dunkle Schattenmagie, dann auf die Kunst des Heilens. Mutig zog ich hinaus in die Spinnenwälder, überquerte die roten Gebirge, durchwanderte die gewaltigen Canyons, die Sumpfgebiete, die zerstörten Landschaften der Pestländer, schlug mich durch Katakomben und zerstörte Städte voller Zombies, besuchte die Oberflächen zersplitterter Monde, über denen die Farbnebel der Galaxie waberten. Ich schlug Schlachten ungeheuren Ausmaßes, rettete andere Helden, bekämpfte gigantische Drachen und Monster, deren grauenhaftes Aussehen jeden Sterblichen im Mark erschütterte. Ich lernte, auf einem gezähmten Purpurdrachen zu fliegen. Mich in ein Schaf zu verwandeln. Ich hortete Gold und wurde reich.
Ich zog aus, um das Fürchten zu lernen. Um die Angst zu überwinden und das Siegen zu verstehen.
Noch heute beginnt mein Herz zu klopfen, wenn ich auf meinem großen Flugdrachen in eine neue Landschaft eintauche, begleitet von den Klängen sphärischer Musik. Wenn am Beginn einer Schlacht die Fanfare ertönt. Wenn am Ende eines gewaltigen Raids (eines Feldzugs, den man mit bis
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