Das Buch des Wandels
Schrecken. Aber dadurch entsteht in unserem Inneren leicht ein »Kreislauf des Schreckens«-Syndrom.
Angenommen, wir haben drei Tage durchgehalten. Wir hatten eben ein stressiges Gespräch mit dem Chef. Eigentlich möchten wir uns jetzt eine anstecken, um denn Stresspegel zu senken. Aber wir erinnern uns plötzlich an die Abwägung: Wenn wir jetzt weitermachen, liegen wir in zwanzig, dreißig Jahren in einem Krankenhaus, mit einem unheilbaren Lungenkarzinom … Bei dieser Vision steigt unser Stresspegel zwangsläufig weiter. Nun müssen wir uns endgültig eine anstecken, um uns zu beruhigen!
Mit Hilfe von CARES wird die Situation psychologisch anders verankert. Das Aufhören wird plötzlich eine Win-win-Operation. Man wird nicht bestraft, wenn man es nicht schafft. Man wird zwar auch nicht belohnt, aber dafür bekommt ein Bedürftiger etwas Gutes! Ist das nicht beruhigend?
Mit dem Internet sind solche Verabredungen noch eleganter zu machen. Nehmen Sie stikk.com. Dort kann man sein Vorhaben, 10 Kilo abzunehmen (oder zu Kollegen freundlicher zu sein oder freiwillige soziale Arbeit zu leisten), einer selbstgewählten Community öffentlich mitteilen. Ein möglicher Einsatz wäre es, 1000 Euro auf ein Konto zu überweisen. Bleibt die Waage am Stichtag über dem gesetzten Ziel, wird das Geld zum Beispiel als Spende an den Fußballverein St. Pauli überwiesen, wenn man selbst HSV-Fan ist. Schafft man es, wird ein Zins ausgezahlt oder ein Bonus des Arbeitsgebers oder es gibt eine Reise mit der Liebsten …
Das Stikk-System arbeitet stärker mit der herkömmlichen Idee der Bestrafung. Aber entscheidende Unterschiede bestehen trotzdem: Erstens wird das Vorhaben einer wichtigen Gruppe von Peers verkündet. Zweitens spielt es eine Rolle, dass man die Strafe selbst bestimmt. So wirkt das Strafgeld für St. Pauli wie eine Spende, in der auch ein kleiner Coping-Kick verborgen ist.
Damit wird der Kreislauf von Versagensangst durchbrochen, der viele Wandlungsprozesse von vornherein sabotiert.
Manchmal kann auch nur eine einfache Information helfen. Wenn man übergewichtigen Menschen mit Diabetes Typ 2 ärztlich verordnet, Gewicht zu verlieren und mehr Sport zu treiben, kommt meist nicht viel dabei heraus. Wenn man denselben Patienten allerdings einen Ausdruck ihres Gencodes zeigt, aus dem deutlich wird, dass ihr Diabetes-Typ in hohem Maß von den Eltern und Großeltern vererbt ist, steigt plötzlich die Bereitschaft zur Wandlung stark an. 16 Wäre es nicht andersherum zu erwarten: Wenn der Schaden vererbt worden ist, kann ich ja ohnehin nichts machen? Nein, denn das »Urteil der Gene« wirkt psychologisch entlastend, jetzt hat man endlich einen Anker und die Schuldgefühle (die Grund für das Kompensationsverhalten sind) schrumpfen. Es setzt eine Coping-Trotzreaktion ein: Mal sehen, ob wir das nicht trotzdem schaff en!
Die hinter all diesen Überlegungen stehende neue Wissenschaft nennt sich »Rational Choice Theory«, und wir werden ihr noch begegnen. Überall in unserer sozialen Umwelt lassen sich nun Wahlarchitekturen entwickeln, die »Entscheidungsentlastungen« ermöglichen. Das bedeutet nicht, dass jeder Einzelne nun garantiert »sein Leben ändert«. Aber es bedeutet, dass wir die Erfolgsraten von Wandlungsversuchen erhöhen können.
Auch die Spieltheorie kann uns dabei weiterhelfen, persönlichen Wandel besser zu gestalten. Der Physiker Len Fisher 17 hat aus ihr einige sinnvolle Alltags-Wandel-Hilfen destilliert:
Bleib, wenn du gewinnst, geh weiter, wenn du verlierst. Wenn eine Kooperation mit Freunden, Verwandten, Kollegen, Geschäftspartnern funktioniert, vertiefe diese Beziehungen, denn Vertrauen schafft immer mehr Vorteile. Wenn das Gefühl überwiegt, die anderen Spieler überreizen ihre Optionen oder spielen unfair, verlasse die Situation (das ist oft leichter gesagt als getan, aber die Möglichkeit, das Spielfeld verlassen zu können , ist im Grunde immer die Voraussetzung für Erfolg und Wandel).
Bring einen neuen Spieler ins Spiel. Viele Konflikte und Probleme lassen sich lösen, wenn eine neutrale Figur das Spielfeld betritt, die plötzlich die Regeln und Bezugspunkte verändert. Dritte Spieler machen soziale Verträge stabiler, indem sie eine »Kontrollinstanz« bilden. Sie bilden Projektions- und Reflektionsflächen und üben nicht selten eine katalytische Funktion aus.
Reduziere deine Optionen. Oft scheitern wir in Wandelprozessen an einem Überangebot an Wahlmöglichkeiten. Wie das Wort
Weitere Kostenlose Bücher