Das Buch des Wandels
Gefühl etwa, dass »die soziale Frage immer schlimmer wird«, dass »immer mehr Menschen verarmen« und »die ganze Welt immer ungerechter wird«, hat eher hier als in der sozialen Realität seine Ursache.
Nehmen wir den Osten Deutschlands. Die Löhne und Gehälter befinden sich hier auf etwa dem Vierfachen des Niveaus wie in den letzten Jahren der DDR, wenn wir die Kaufkraft berücksichtigen. Obwohl es viele Arbeitslose gibt, ist die Infrastruktur heute um ein Vielfaches besser als im maroden Sozialismus. Trotzdem herrscht ein allgemeines Gefühl von Verarmung auch bei den Mittelschichten; etwa die Hälfte der Ostdeutschen empfindet die neue Sozialordnung als ungerecht, ein gutes Drittel wünscht
sich einen neuen Sozialismus. Denn niemand vergleicht seine Situation mit der Ausgangsposition – dem Niveau im DDR-Sozialismus -, sondern mit den Verhältnissen in Bonn, Paris, New York. Selektive Wahrnehmung führt dazu, dass aus der Diktatur nur jene Erinnerungen wachgehalten werden, in denen es um Geborgenheit und Sicherheit »im Kollektiv« ging. Bewohner des Ostens ankern ihren Vergleich im Westen – und müssen sich zwangsläufig ärmer fühlen.
Für den Bewohner Westdeutschlands sind wiederum die Maßstäbe des Wohlstands in den Coping-Gefühlen verankert, die in den Perioden starken Wirtschaftwachstums zwischen 1960 und 1980 entstanden. Im Vergleich zu den Wundern der damaligen Zeit fühlt er sich heute »immer ärmer«. Vergleichsanker werden immer nach oben korrigiert, wenn sich eine Zeitlang ein neuer Trend durchsetzt. Wenn, sagen wir, der Umsatz in einem Restaurant drei Jahre lang exorbitant gestiegen ist – um 30 Prozent jährlich, weil im Finanzboom die Spesenritter sich die Klinke in die Hand gaben und eine Champagnerflasche nach der anderen köpften – und dann in einem Jahr der Umsatz um 50 Prozent einbricht, ist das unter dem Strich immer noch eine kräftige Umsatzsteigerung. In der Zeitung (in unseren inneren Alarmglockensystemen) leuchten aber nur die 50 Prozent Verlust knallrot auf.
Es sind also die Vergleichssysteme, die jene Kultur der chronischen Unzufriedenheit, der permanenten Vergleichsfrustration erzeugen . Selbst wenn es uns subjektiv bessergeht, reden wir von objektiver Verschlechterung. Da die Medien ständig neue Extreme in den Wahrnehmungsraum schaufeln, steigt unser Gefühl ständiger Eskalation. Und genau das ist gefährlich.
Die Ankerung des Wandels
Könnte man Ankerungseffekte auch in die andere, in eine positive Richtung drehen und sie sich zunutze machen? Wie die Arbeit von Ornish gezeigt hat, kann man das menschliche Verhalten auch an der Sehnsucht nach Glück, Liebe und Gesundheit ankern. Wie lässt sich dieser Prozess bewusster und wirksamer gestalten, so dass er frühzeitig und alltäglich funktioniert?
Nehmen wir das Rauchen. Eine simple Drogenabhängigkeit, die uns mehrmals am Tag einen kleinen Kick leicht euphorisierender Substanzen verschafft und uns bei der Scham- und Verlegenheitsbewältigung hilft, da man durch das Hantieren mit dem Glimmstängel die Gefühle verbergen und Souveränität suggerieren kann. Mit dem Rauchen sind zudem bestimmte Statuszeichen verbunden. In armen Gesellschaften rauchen diejenigen, die sich sozial im Aufstieg wähnen – sie können sich etwas »Überflüssiges« leisten und demonstrieren es. In reichen Gesellschaften wird die Qualmerei mehr und mehr zum Unterschichtsphänomen.
Wie kann man von dieser lästigen, ungesunden Gewohnheit lassen? Gibt es Methoden, Hilfestellungen, die mehr sind als Appelle, Drohungen oder Nikotinpflaster?
Das Raucher-Entwöhnungsprogramm CARES auf den Philippinen (Committed Action to Reduce and End Smoking) wird von der »Green Bank of Caraga« angeboten. Ein Raucher, der sich zum Aufgeben entschlossen hat, eröffnet ein Konto. Für sechs Monate deponiert er dort alles Geld, das er durch den Nichtkauf von Zigaretten spart (der Kunde kann sogar einen Angestellten der Bank beauftragen, zu ihm nach Hause zu kommen und das Geld dort einzusammeln). Danach macht er einen Urintest, der den Nikotinwert im Blut misst. Wenn er tatsächlich durchgehalten hat, wird das Geld in eine Altersversicherung mit sehr günstigen Zuwachsraten umgewandelt. Wenn nicht, wird das Konto geschlossen und das Geld an eine gemeinnützige Organisation überwiesen, die sich lokal um die Armen kümmert. 15
Was ist an diesem System neu? Mit dem Rauchen aufzuhören ist eine Abwägung zwischen kurzfristigem Gewinn und langfristigem
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