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Das Buch des Wandels

Titel: Das Buch des Wandels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Horx
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Mensch!«
    Zauberer: »O nein, meine Liebe, ich bin ein guter Mensch. Nur leider ein sehr schlechter Zauberer!«

Im Schweinesystem
    In meiner Jugend war Marxismus nicht nur eine Mode, sondern Mainstream. Marx’ kalte, schneidende, abstrakte und dabei so poetische Sprach- und Denkweise durchwaberte die Schulklassen, Hörsäle, öffentlichen Räume, die in den siebziger Jahren wie große Bühnen für die Konflikte des rasenden Fortschritts wirkten. Die Gesellschaft war im Auf- und Umbruch. Aber das Denken gerade der schärfsten Rebellen orientierte sich an einer Ideologie der Vergangenheit, in der alle Fronten klar und die Verhältnisse wie mit dem Messer gezogen erschienen.

    Nie werde ich vergessen, wie ich in einer Studentenzeitung, in der ich damals als studentischer Redakteur arbeitete, einen Kommentar über die Gewalt veröffentlichte, die von den Befreiungsbewegungen der Dritten Welt gegen die Kritiker aus den eigenen Reihen ausgeübt wurde – Kambodscha und China und anderswo. Postwendend kam folgender Leserbrief, den wir natürlich prompt abdruckten (wir waren ja libertär):
    horx, dieser völlig verkommene bourgeois, jammert uns hier wieder einmal einen von der herrschenden klasse bestimmten diskurs darüber vor, dass sich die unterdrückten des trikont am besten von den bonzen abschlachten lassen sollen, er wird zur gegebenen zeit in einem ordentlichen sozialistischen arbeitslager darüber nachdenken können …
    Solche Eliminierungspoesie war damals ein völlig normaler Umgangston (»trikont« heißt übrigens »Trikontinentale«, was so viel bedeutet wie »die Unterdrückten der drei Kontinente Asien, Afrika und Südamerika«). Wer ein Verräter war, bekam was aufs Maul. Marx’sche Diktion, vermengt mit dem Sound einer inquisitorischen Gossengewalt. Unglaublich cool. Ein Denkmuster, das alle Zweifel, Unschärfen, Unsicherheiten radikal beseitigte.
    Für die sensiblen, rebellischen Seelen der sechziger Jahre war Marx eine Art Supervalium und eine Aufputschdroge zugleich. Man konnte damit den anstrengenden Argumenten der Eltern »objektive« historische Prozesse entgegensetzen und den quälenden persönlich-emotionalen Konflikten ausweichen. Man konnte den Lehrern in der Schule, den Professoren an der Universität die eigenen Machtfantasien an den Kopf werfen, ohne dass sie sich wirklich verbal wehren konnten.
    Man konnte die autoritäre Welt mit autoritären Fantasien ärgern – und so seine Angst verringern.
    Zu wahrer Meisterschaft dieses Abstraktionskultes brachten es die Anhänger der »Marxistischen Gruppe« (MG). Das waren sauber gekleidete und ordentlich gekämmte Typen und adrette Frauen, die über eine unheimliche Ruhe und Disziplin verfügten. Sie waren
auf jedem Campus vertreten und verteilten unermüdlich riesige Flugblätter in 8-Punkt-Schrift, in denen »Das Kapital« allen Ernstes weitergeschrieben wurde. Ihre Botschaft blieb auf einen simplen, fast metaphysischen Kern reduziert, und sie wurden nicht müde, sie auf jeder Versammlung, in jedem Seminar, in jedem Hörsaal mit unglaublich arroganter Miene zu wiederholen:
    WIR LEBEN IN EINER FALSCHEN KAPITALISTISCHEN WELT. ALLES, WA S WIR ERLEBEN IST LÜGE UND ILLUSION.
    Die MG hatte im Grunde ein bizarres Programm: Weltveränderung durch Abstraktion. Wo allerdings die »reale« Wirklichkeit anfing, erfuhr man nie. Für die schnöden Gefilde der Wirklichkeit und ihrer Details waren die MGler viel zu anspruchsvoll. Arbeiter waren keine realen Menschen, sondern »Klassensubjekte«. Nichts, was sich im sozialistisch-kommunistischen Wirklichkeitsraum abspielte, konnte ihre Sympathie erwecken. China, Russland, Vietnam, Kuba, das waren alles Verräter an der eigentlichen Idee des reinen Marxismus. Trotzkisten, Leninisten, Maoisten – alles bedauernswerte Abweichler. Nur die »Organisation« befand sich im Besitz der heiligen Lehre.
    Wenn die marxistische Gruppe an die Macht gekommen wäre, so viel war klar, wären wir alle geradewegs in riesige Umerziehungslager geschickt worden. Aber allzu groß schien diese Gefahr nicht. Denn eigentlich hatte die MG nicht allzu viel Interesse an der Macht. Die Truppe beteiligte sich als friedlich-geschlossene Marschabteilung an Demonstrationen und zeigte die längsten Transparente der gesamten linken Szene. Aber auf diesen Transparenten gab es keine Forderungen, keine eigentlichen Parolen. Nur Zitate. Was man allerdings auf ihren Gesichtern lesen konnte, war eine ganz und gar unheimliche Form von Glückseligkeit

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