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Das Buch des Wandels

Titel: Das Buch des Wandels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Horx
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Alpträume als »normale« Träume. Dieser Fähigkeit der inneren Repräsentation verdankt unser Wahrnehmungsapparat seine ungewöhnliche Effektivität – und die Tatsache, dass er überhaupt funktionieren kann. Denn wenn wir ständig alle Daten aus der Umwelt eins zu eins aufnehmen und abspeichern würden, wären unsere Erinnerungsspeicher trotz der gewaltigen Kapazität unseres Hirns bald überfüllt. Erinnerungen würden sinnlos wie Müll gestapelt; auf diese Weise könnte nie eine Ordnung der Welt in unserem Kopf entstehen, wir würden ein chaotisches Leben führen (wahrscheinlich haben Pubertierende genau ein solches Müllhalden-Hirn).
    Imagination ist also unmittelbarer Teil unserer Weltwahrnehmung und damit Bedingung unserer Kreativität, unserer Fantasiefähigkeit. Die Möglichkeit zu schneller symbolischer Kooperation sowie die Fähigkeit, eine italienische Großoper nicht nur zu ertragen, sondern zu genießen, hängen mit diesem erstaunlichen Talent zusammen. Manchmal allerdings führt es uns auch auf Abwege.
    In den Filmen der frühen Marx Brothers zieht Harpo, der kleine blöde Bruder, immer etwas im Wortsinn Unpassendes aus seinem abgenutzten übergroßen Mantel. Ein Waschbecken, ein Schaf, eine heiße Tasse Kaffee. Das ist so komisch, dass wir uns dabei auch im reifen Alter noch kringeln können. Aber vielleicht ist es auch nur deshalb so komisch, weil unser Hirn eigentlich genau das ständig
tut: den Harpo spielen. Wir ziehen dauernd etwas aus unserem mentalen Hut, was eigentlich gar nicht reinpasst .
    Viele kognitionspsychologische Experimente zeigen, dass das Hirn im Moment der Reizauslösung eine Erinnerung und Reaktionsweise auch aktuell produzieren kann . Als säße ein kleines Filmteam in unserem Kopf, das bei bestimmten Anlässen auf einen neuen Dreh geschickt wird: »Nun macht mal, Jungs, wir brauchen dringend einen passenden Clip für die heutige Gemütslage!« 2 Diese »Spots« werden dann dem Hirn als »echte Erinnerungen« (oder Gedanken oder Eingebungen) verkauft – einschließlich der felsenfesten Überzeugung, dass diese Erinnerungen dort die ganze Zeit lagerten. In der Psychologie ist dieser Effekt schon lange als »False Memory Syndrom« bekannt.
    Mit anderen Worten: Wir sehen nicht, dass wir eine Interpretation sehen. Wir sehen tatsächlich das, was unser Hirn uns sehen lässt, oder, wie im Beispiel des Josef-Betrugs, was uns »hören gemacht wurde«. Deshalb ist die Debatte um die Frage, ob religiöse Menschen eine Vision, eine göttliche Erscheinung »nur halluziniert« haben, ein Streit um des Kaisers Bart: Wir alle sehen ununterbrochen Dinge, die »nicht real« sind. In gewisser Weise drucken wir in unserem Kopf ständig Falschgeld in der Hoffnung, dass es von der »Realität« als echt anerkannt wird (könnte das etwas mit der Finanzkrise zu tun haben?).
    Was wir an »objektiven Tatsachen« in unserer Umwelt wahrnehmen, ist Resultat einer selbsterzeugten Landkarte, in deren Tälern, Hügeln, Schluchten sich unsere im Lauf des Lebens (und durch die Kultur, in der wir aufgewachsen sind) erworbenen Sehnsüchte, Wünsche und Ängste widerspiegeln. Das Hirn versucht wacker, seine Zauber durchzuführen, um jenen »Sinn« zu produzieren, den wir für ein kohärentes Erleben der Umwelt brauchen. Sektenführer, Scharlatane, Ärzte, Betrüger, Populisten machen sich das zunutze. Mächtige Magier, wie sie heute auf allen Bühnen auftreten, können nur zaubern, weil wir von innen mitzaubern!

    Im »Wizard of Oz« kommen unsere wackeren Helden – Vogelscheuche, Zinnmann, Löwe und die kleine Dorothee – am Ende zum Großen Zauberer. Der ist ein gigantischer schwebender Kopf. Toto, der Hund, schnüffelt in einer Ecke herum und findet plötzlich eine Apparatur, die das Trugbild an die Wand projiziert. Er legt einen Hebel um – und das Bild bricht zusammen. Dahinter kommt, in wahrer Gestalt als schüchterner Winzling, der Zauberer hervor.
    Dorothee: »Dann ist der mächtige Zauberer nur ein Betrug?«
    Zauberer: »Genau! Ich bin nichts anderes als eine Illusion.«
    Dorothee: »Wissen die anderen nicht, dass du eine Illusion bist?«
    Zauberer: »Niemand weiß es außer euch vieren – und ich selbst. Ich habe jeden an der Nase herumgeführt, und zwar für so lange Zeit, dass ich dachte, es käme nie heraus.«
    Dorothee: »Aber ich verstehe das nicht. Wie konntest du als ein Riesenkopf erscheinen?«
    Zauberer: »Das war einer meiner Tricks.«
    Dorothee: »Du bist ein sehr böser

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