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Das Buch des Wandels

Titel: Das Buch des Wandels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Horx
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besorgen kann.«
    In diesem Moment brach die Verbindung ab.
    Eine halbe Minute später klingelte wieder das Telefon. »Ich bin hier auf dem Weg zum Notar«, sagte die Stimme. »Bitte, bitte
sei so nett und gib das Geld meinem Bekannten, den ich jetzt vorbeischicke, sonst schaffen wir das nicht!«
    »Gib mir doch mal deine Handynummer …«
    »Ich telefoniere gerade vom Handy einer Freundin aus. Das Ding ist auch irgendwie kaputt …«
    Und wieder brach die Verbindung ab.
    Kaum vier Stunden später, um genau 16 Uhr 30 und nach weiteren fünf hektischen, sehr dringlichen und immer wieder abgebrochenen Gesprächen, stand Josef mit einem Umschlag, in dem 50 Tausend-Euro-Noten steckten, auf der Straße vor seiner Wohnung. Ein Mann bog um die Ecke, ein schwerer, großer Mann mit Lederjacke. Er kam näher. Und sagte mit fremdländischem Akzent:
    »Kann ich bitte Geld für Matthias haben?«
    »In diesem Moment«, sagte Josef später, als wir bei der zweiten Flasche Rotwein das Desaster bilanzierten, »wusste ich natürlich schon, dass das alles ein irrer Betrug war.«
    »Und warum hast du’s ihm dann gegeben?«
    »Er war zu groß und zu stark.«
    Die Polizei erzählte uns später, dass der raffinierte Betrug, auf den Josef hereinfiel, kein Einzelfall war. Organisierte Banden machten mit diesem Trick seit Monaten fette Beute. Opfer waren immer wohlhabende ältere Männer oder Frauen. Die Bande spähte sie aus und brachte einige grundlegende Dinge über sie und ihren Freundeskreis in Erfahrung. Zum Beispiel, in welchen Städten, Ländern oder Regionen sie alte Freunde hatten.
    »Josef«, sagte ich einige Tage nach dem Desaster. »Eines verstehe ich nicht. Du kennst mich seit Jahren. Du weißt, dass ich nicht gerade arm bin. Ich würde nie auf diese Weise Geld von dir leihen. Und du kennst meine Stimme!«
    Er sagte eine Weile gar nichts. Er überlegte und überlegte. Er quälte sich.
    »Es war nicht deine Stimme, das weiß ich jetzt ganz genau«, erwiderte er dann. »Aber es war deine Stimme in mir . Ich dachte mir deine Stimme!«

    Wir brauchten noch eine ganze Weile, um den Trick zu verstehen. Die Betrüger arbeiteten nach dem Konzept des »Priming«. Ein bestimmter Schlüsselreiz löst im Hirn eine Abfolge von Schaltungen aus, denen man sich nur schwer entziehen kann. Es funktioniert wie Hypnose, nur dass wir selbst die Agierenden sind. Von dem Moment an, als Josef »der Stimme« meinen Namen innerlich zugewiesen hatte (»ein alter Freund aus Deutschland« – wer könnte das sein?), simulierte sein Hirn meine Sprachmodulation. Meine Stimme kam komplett und konsequent aus seinen neuronalen Speichern. Den Rest erledigte der Stress, in den die Betrüger Josef versetzten. Alles musste sehr schnell gehen. Dem Opfer durfte keine Chance gelassen werden, nachzudenken oder etwaige Freunde des vermeintlichen Freundes anzurufen. Deshalb musste man in immer kürzerem Abstand hektische Telefonate inszenieren, bis das Opfer das Geld von der Bank geholt hatte und die Dinge endgültig »ins Rollen geraten waren«.

Der innere Zauberer
    Was bedeutet es für unsere Vorstellung des Denkens, wenn vernünftige, erwachsene Menschen innere Stimmen hören können, die sie zu fatalen Dingen zwingen? Was verrät es über die Art und Weise, wie wir Realität betrachten und interpretieren, Informationen auswerten und uns ein »Bild von der Welt« machen? Es bestätigt, was Kognitionspsychologen seit Jahren erforscht und herausgefunden haben. Die Formbarkeit unseres Hirns ist größer, als uns lieb ist. Nur leicht vereinfacht ausgedrückt: Wir denken uns, was wir wollen!
    Misst man die Datenflüsse auf der Netzhaut und in den Gehörgängen, die bei einer normalen Wahrnehmung von der Außenwelt ins Hirn gelangen, stellt man Erstaunliches fest. Nur rund 17 Prozent einer Wahrnehmung stammen tatsächlich aus der Umwelt. Den Rest, also 83 Prozent, »denkt« sich das Hirn dazu. Ein Haus,
ein Baum, ein Mensch, ein Stuhl, Tante Frieda und alles andere sind immer auch – und vorwiegend – Vorstellungen in unserem Inneren. 1
    Menschen sind Meister der »dispositionellen Repräsentation«. In unserem Hirn haben wir Musterschablonen zur Verfügung, die durch einen Außenreiz aktiviert werden können. Träume etwa sind so etwas wie das »Durchspielen« dieser Repräsentationen, wobei die neuronalen Verknüpfungen entlang von Zufällen, aber auch entlang von Angstbahnungen stattfinden können. Weil die Amygdala immer ein Bildchen mitreden muss, haben wir mehr

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