Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Buch des Wandels

Titel: Das Buch des Wandels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Horx
Vom Netzwerk:
natürlich alle »wissenschaftlich bewiesen«). Wir leben in einer semimagischen Kultur voller »shared illusions« (Leonard Mlodinow in »The Drunkards Walk«) – vielleicht
gerade deshalb, weil es keine verbindlichen Normen, Religionen oder Lebensriten mehr gibt.
    Das logische Denken. In der Antike kam es zum ersten Mal zu einer bewussten Trennung zwischen symbolischer und dinglicher Ebene. Denken wurde nun in Wenn-dann-Relationen geordnet, in Kausalitäten und Ableitungen strukturiert, Argumentationen auf ihre Gültigkeit und Folgerichtigkeit untersucht.
    Aristoteles, Platon, Sokrates und all die anderen Philosophen des antiken Raumes waren strenge Logiker. Ihre Leistung bestand in der Entwicklung kompletter Metatheorien. Aber sie irrten oft, weil ihnen wichtige Bausteine naturwissenschaftlicher Welterkenntnis fehlten. Aristoteles entwickelte ein Weltmodell der Sphären, in dem alle Dinge, auch menschliche Körper, aus Luft, Wasser und Feuer zusammengesetzt sind. Er folgerte logisch aus Umweltbeobachtungen, dass die innerste Sphäre der Welt aus Stein sein müsse, weil Steine immer nach unten fallen, während Wasser in der zweiten Sphäre verbleibt, Luft in der dritten und Rauch (Feuer) in der obersten Sphäre. Aus diesem Weltmodell machten Ärzte der Antike ein völlig abwegiges, aber durchaus »logisches« Prinzipiengebäude der Behandlung, unter dessen Segnungen die Patienten reihenweise starben. Aber Ärzte konnten nicht irren, weil sie logisch arbeiteten. Der tote Patient bewies, dass man beim Nächsten die grausamen Anstrengungen noch erhöhen musste. Bis ins Mittelalter galten die griechischen Logiker als absolute Autoritäten im Reich der Medizin – auch Paracelsus bezog sich noch auf die Elementelehre. Bis sich mit der Renaissance langsam die Empirie und das Experiment durchsetzten, blieben die antiken Logiker absolute Autoritäten, ihre Weltgebilde Dogmen, an denen kein Detail verändert werden durfte. 7
    Das religiöse Denken. Auch religiöses Denken ist, obwohl dies zunächst wie ein Widerspruch in sich klingt, logisch. Da die Annahme Gottes (oder der Götter) keinesfalls widerlegt werden kann, ist alles, was auf diesem Axiom aufbaut, in sich kohärent. In der Grundannahme einer göttlichen Kraft liegt ein Ordnungssystem,
das sich selbst bestätigt. Weil Gott so gütig / allmächtig ist, kann er auch den Unglauben und das Elend zulassen. Religion (von lateinisch re-ligare, anbinden, zurückbinden) stellt den Menschen in ein komplexeres Verhältnis zu den höheren Mächten als das rein funktionalistische magische Denken. Aus Riten werden Rituale, die den Alltag strukturieren, aus dunklen Mächten Bilder und Erzählungen, aus gemurmelten Formeln Schriften. Aus Schamanenkulturen entstehen institutionalisierte Priesterhierarchien, deren Deutungsmacht durch weltliche Kräfte begrenzt wird.
    Die Götter der Maya waren, wie man schon an ihren Abbildern sieht, furchterregende Mächte voller Willkür und Unberechenbarkeit (eine Analogie zu den unberechenbaren Naturkräften). Religionen evolutionieren diese Mächte weiter und verwandeln sie dabei in verlässlichere Institutionen, die dem Leben einen Halt und einen Rahmen geben. Religiöses Denken unterscheidet sich vom Magischen durch seine Ordnungsfunktion: Zwischen Himmel und Hiesigem ist nun eine deutlich erkennbare Grenzlinie gezogen. In der Wechselwirkung zwischen Göttlichem und Weltlichem können nun durchaus Verfeinerungen und neue Komplexitäten der Erkenntnis entstehen.
    Das moralische Denken. »Ach, der Tugend schöne Werke, / Gerne möcht ich sie erwischen. / Doch ich merke, doch ich merke, / Immer kommt mir was dazwischen.« So leichtfüßig fabulierte der Ironie-Guru des 19. Jahrhunderts, Wilhelm Busch, über die Sache mit den »Werten«, den Dauerbrenner des Moraldiskurses. Busch war schlauer als viele heutige Moralisten. Moral kann, will sie funktionieren, immer nur der Selbstverpflichtung entspringen, andernfalls wäre sie ein Zwangsregelungssystem, ein Gesetz. Aus diesem Spannungsverhältnis heraus entsteht der Tugenddiskurs, und nur so macht er (evolutionären) Sinn.
    Der »Zerfall« der Moral wird schon seit Jahrtausenden beklagt und rhetorisch genutzt, um bestimmte Vorstellungen und Weltbilder auf normativem Wege durchzusetzen. Im Grunde läuft die moralische Forderung darauf hinaus, dass emphatisches Gefühl
und Handlung übereinstimmen sollen. Aber genau hier liegt das Paradox: Wenn ich einen armen Menschen sehe, sagt mein Gefühl, ich

Weitere Kostenlose Bücher