Das Buch des Wandels
müsste ihm »mein Geld geben«. Aber das wäre wahrscheinlich weder für mich noch für ihn die richtige Entscheidung (modern gesprochen: Es würde falsche Steuerungsanreize bewirken). Eine moralische Handlung kann also unmoralische Resultate erzeugen. Und das ist keineswegs ein Nebeneffekt – die schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte wurden im Namen der Moral begangen!
Moralisches Denken ist ein Widerspruch in sich und wird gerade deswegen so gerne praktiziert, weil es sich so leicht funktionalisieren lässt. In den unentwegten Ruckreden, in der unaufhörlichen Klage über den Niedergang der Moral empfehlen sich vor allem die Tugendwächter selbst. Nur selten ist dieses Denken produktiv, im Sinne von Veränderung, auch wenn es das ständig behauptet. Das »Betroffenheitsgebot« ist eine mentale Geißel, die uns vom Verstehen und Verändern der Welt eher abhält.
Abb. 13: Der moralische Eisberg
Moralische Argumentation ist immer eine Verknüpfung von Wunschdenken und normativen Modellen, und als solche lässt sie uns im besten Fall ratlos zurück, im ungünstigsten hinterlässt sie Scham und schlechtes Gewissen (womit man Menschen zwar fügsam, aber nicht »moralisch« machen kann). Unsere innere Verfasstheit lässt sich mit Moralkriterien nicht wirklich erfassen. Sie ähnelt eher dem Eisberg, in dem die einzelnen Instanzen unseres Denkens und Fühlens unter der Wasseroberfläche unserer Handlungen zu finden sind.
Das romantische Denken. »Die Antike lehrt uns Denken, setzt uns Maß und Ziel, begeistert uns für die Erkenntnis. Wo aber bleibt der Rest?« Dieser Stoßseufzer stammt von den emphatischen Dichtern und Denkern des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Und so kam die Romantik in die Welt. Ein Denken, das das Fühlen ins Zentrum der inneren Bühne setzt und die Innerlichkeit als eigentliche Welt behauptet. Mit Novalis gesprochen: »Romantik gibt dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten und dem Endlichen einen unendlichen Geschmack.«
Robert M. Pirsig hat den Unterschied zwischen klassischem und romantischem Denken in seinem Klassiker »Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten« anhand einer Motorradfahrt mit seinem Sohn erklärt:
»Einer klassischen Anschauung stellt sich die Welt primär als innere Form dar. Einem Romantiker stellt sie sich primär als unmittelbar wahrnehmbare Erscheinung vor. Würde man einem Romantiker eine Maschine oder einen elektronischen Schaltplan zeigen, würde er höchstwahrscheinlich kein Interesse daran zeigen … Würde man jedoch dieselbe Blaupause einem klassischen Menschen zeigen, wäre er wahrscheinlich davon fasziniert, weil er sehen würde, dass hinter den Linien und Formen und Symbolen eine ungeheure Fülle innerer Form liegt.« 8
Die »Klassik« interessiert sich für die Prinzipien und Modalitäten, für das Detail, das Wie und Warum und den Zusammenhang. All das ist der Romantik vollkommen egal. Sie interessiert sich nur für das Ergebnis der Wahrnehmung. Romantiker wohnen normalerweise in hohen Türmen, weitab von den Profanitäten der Wirklichkeit. Dort bauen sie fröhlich an ihren Innenwelten. Ab und zu steigen sie hinab, um uns über das »Eigentliche« zu belehren.
Das idealistische Denken. Ende des 18. Jahrhunderts rüttelte Emmanuel Kant an der damals verbreiteten Gewissheit, das Gehirn sei eine Art Maschine, in das via Augen, Ohren, Geruch und anderer Sinne Realität »hineinfließt«, bis sie irgendwann vollständig darin abgebildet ist. Kants neue Theorie des »Idealismus« warf die »objektiven« Modelle über den Haufen, als hätte er bereits die Erkenntnisse der Neurobiologie verstanden: Nur aus dem Wechselspiel von Verstand und Sinnen könne Wissen entstehen.
Die Vertreter des Idealismus sehen in jeder Form von Materie sowie auch in menschlichen Handlungen (und damit in der gesamten Geschichte) nur ein Abbild von Ideen – eine Vorstellung, der schon die antiken Denker zuneigten. Damit ist, wie beim romantischen Denken, Wirklichkeit eher als ein Ergebnis von inneren Prozessen und »höheren Wirkkräften« definiert. Utopien und Zielbilder beherrschen diesen Denkmodus. Die komplexe Wirklichkeit kann so leicht zu einer störenden Banalität oder profanen Ableitung höherer Prinzipien geraten. Von hier aus ist es nicht mehr weit zur Ideologie, die ja auch denselben Wortstamm aufweist.
Das ideologische Denken. Karl Marx bezog sich auf Kant und Hegel,
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