Das Buch Gabriel: Roman
nehmen, wird der Flughafen uns lieben. Normalerweise wird das Feld um elf geschlossen, aber wenn wir unsere Gebühren bezahlen und innerhalb des Lautstärkelimits bleiben, geben sie uns auch noch gegen Mitternacht grünes Licht für den Start, vor allem, weil unsere Landung nur eine reine Vorsichtsmaßnahme war und es der letzte Freitag mit Flugbetrieb ist. Nur in einem Punkt Achtung: Bei dem Datum könnte man vermuten, dass wir uns einen Spaß erlauben – und Schönefeld als der eigentliche Nachtflughafen ist nicht gerade weit weg. Aber das sollte mit einer charmanten Crew schon hinzukriegen sein. Wer fliegt?«
»Die Gäste wollen selber fliegen, ohne Technikcrew – wir brauchen also zwei Dummy-Piloten, die sich im Flugzeug aufhalten.«
»Darum kann ich mich kümmern – von einem Freund von mir, dessen Firma in Tempelhof bekannt ist und der eine Genehmigung fürs Flugfeld hat, bekommen wir noch einen Flieger für die Ware.«
» Bon «, nickt Didier. »Und hast du oben noch ein paar Räumlichkeiten zur Tarnung angemietet?«
»Dafür bekomme ich morgen die Bestätigung. Ich glaube, wir können so viel Hangar- oder Büroflächen bekommen, wie wir wollen, und für eine einmalige Veranstaltung auch Teile des Hauptterminals, das allerdings nur nach Betriebsschluss.«
»Einmalig? Dann buch ab jetzt für jeden Tag eine einmalige Veranstaltung. Damit uns ab sofort alles gehört.«
»Täglich ein Tarn-Event, ist das nicht ein bisschen zu zeitintensiv?«
»Erzähl denen, es ist für eine Filmproduktion, und bau einfach eine Kamera auf. Uns muss so viel von dem Gebäude gehören wie irgend möglich, an jeder Ecke muss was los sein, bis sich niemand daran erinnern kann, was normal ist. Die werden ab jetzt täglich mit neuen Gesichtern, neuen Aktivitäten und neuer Ausstattung beballert – bis es ihnen zu langweilig wird, sich zu fragen, was eigentlich los ist.«
»Und was machen wir in Sachen Menü?«, fragt Thomas. »Tiefkühlen ist ein Problem.«
»Du weißt doch, wie’s ist – alles richtet sich danach, was wir kriegen können, ha. Was uns noch fehlt, ist ein Signature Dish, und dessen Größenordnung wird bis kurz vor knapp unbekannt sein. Ich bin Tag und Nacht am Telefonieren. Was wir schon haben, ist ein Tiger, der ginge auch.«
»Ein Tiger ?« Thomas blinzelt.
»Mit Haut und Haaren, ha. Einen kleinen. Hast du ein Problem damit? Das ist ein Tier. Ich bin ein Tier. Wenn ich ihn nicht esse, isst ihn ein anderes Tier – oder er mich. Hältst du es für aufgeklärter, nicht zu essen? Das wäre die Logik des Todes.«
»Hey – ich sag doch gar nichts.«
»Da gibt’s auch nichts zu sagen. Ich dachte schon, du hättest dich der Kampagne zur Rettung niedlicher Geschöpfe und Unterwasserwesen, die piepsen, angeschlossen. Wenn ich mir die Gästeliste ansehe, müssen wir symbolisch vorgehen. Keine Hyper-Haute-Cuisine, das kapieren die nicht, wir müssen Anekdoten servieren. Selbstverständlich müssen wir das einwandfrei tun, aber wir brauchen uns ganz sicher nicht so einen abzubrechen wie das eine Mal, als wir neues Hybridgetreide gezüchtet und uns an Stammzellen-Cappuccinos versucht haben – vor allem nicht, wenn wir vorm Auftragen von einem Cateringmobil durch die frische Luft laufen müssen. Diesmal ist alles simpel, aber voll auf die Zwölf , mit einzigartigen, vollmundigen Zutaten, exquisit zubereitet und unter der Glocke serviert. Übrigens, je mehr ich über den freien Himmel zwischen Küche und Tisch nachdenke, desto mehr tendiere ich zu einer theatralischen Tarninszenierung. Eine Filmproduktion im ersten Stock, die sich bis zu den Cateringmobilen zieht und wo immer wir sie brauchen. Ihr wisst, was ich meine? Eine Tarnung, die alles ermöglicht.«
Damit gehen Thomas und Didier murmelnd und auf Bögen und Wände deutend weiter den Saal hinunter. Und mich ereilt eine Erkenntnis: Vor meinen Augen wird der bahnbrechende Traum von Smuts und mir wahr: Nimbus , unser Restaurant von ganz früher.
Durch die Bogengänge scheint dieser Traum zu mir zurückzufluten und sich in all seinen Einzelheiten erneut zusammenzusetzen, als ob er hier den Ort seiner Bestimmung gefunden hätte. Leinentücher, um Tränen und Sauce aufzufangen, letzte Willensbekundungen und Testamente, keine Beschilderung, keine Pärchen, ein Name, der nur gewispert wird. Wird es Leinentücher bei diesem Bankett geben, sinniere ich, oder Tiefseeangelstühle mit Gurten?
Was ist eigentlich mit dem Dresscode, oder muss ich mir selbst überlegen,
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