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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
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das meiste Geld hat, sondern darum, wie man fair mit Kleinunternehmern umgeht. Was? Ich weiß, dass der Flughafen auch Geld verdienen muss, aber es gehört sich ja wohl, die Mieter frühzeitig zu warnen.«
    Anna steht auf und streift den Hosenboden ihrer Jeans ab: »Was willst du hier?«, zischt sie mir zu. »Das passt jetzt gar nicht, sie wollen Gerds Abschiedsparty absagen.«
    »Oh nein, das tut mir leid – wer denn? Das geht doch nicht.«
    »Irgendein Event hat das Terminal auf den letzten Drücker gemietet. Gerd macht den Kiosk jetzt früher dicht. Es ist alles schon schlimm genug heute – da musst du nicht auch noch hier rumschleichen.«
    »Aber die können euch doch nicht verbieten, den Laden zu öffnen. Ich dachte, man kann das Terminal nur für besondere Anlässe und erst nach Betriebsschluss mieten?«
    Ihre Augen werden schmal. »Das stimmt. Aber ob wir geöffnet haben oder nicht, ist ohnehin egal – der Wagen da drüben gibt Essen umsonst aus. Wieso kennst du dich eigentlich mit den Terminal-Regeln aus?«
    Ich stehe da, sage nichts, schwanke vor mich hin und gehe dann zum nächsten Baum, wo ich mich abstütze und wie ein Dreifüßler aufrecht halte. »Hm, tja – muss ich wohl irgendwo aufgeschnappt haben.«
    Sie fährt fort: »Und wegen dieser Veranstaltung dürfen wir am Freitagabend noch nicht mal mehr das Gebäude betreten. Gerd spricht gerade mit einem Anwalt, so geht’s einfach nicht.«
    Ich nicke und sehe weg, versuche, gegen den aufwallenden Schmerz anzugehen. Das also ist der Master-Limbus des Kapitalismus, ein Feuersturm, der nicht nur alles verheert, was ihm im Weg ist, sondern auch den Sauerstoff der ganzen Umgebung verbraucht, um seinem gefräßigen Vakuum Futter zu geben, der sogar Lungen aussaugt, die weit entfernt sind von seinen Siedlungen. Neben uns wendet ein nachdrücklich piepender Lkw, und in seinem Piepsen höre ich den Limbus krähen: »Verlierer, Verlierer.«
    Gerd sieht zu uns herüber. »Ach, Frederick, hat Anna es dir schon erzählt? Sie wollen die Party verbieten, aber ich habe den Kampf noch nicht aufgegeben. Nein, mein lieber Herr Gesangsverein. Nicht, solange ich noch Luft in den Lungen habe.« Er nickt kurz vor sich hin, dann sieht er hinüber zu dem Mobil. »Hast du Gottfried gesehen? Jemand hat ihm erzählt, dass es eine Filmproduktion ist – haa .«
    Nach diesem kurzen Einbruch des Leichtsinns fällt sein Gesicht in sich zusammen, in einen Zustand entschlossenen Trauerns, und sein Blick heftet sich starr auf die andere Straßenseite.
    Anna sieht auf die Uhr und sagt zu ihm:
    »Ich gehe jetzt«, sagt sie. »Soll ich dieselben holen wie immer?«
    »Ja, die billigsten«, nickt Gerd. »Vielleicht hilft dir der Dichter ja beim Tragen.«
    »Pff.« Anna mustert mich. »Der Dichter? Das erklärt so einiges. Nicht, dass es darauf hinausläuft, dass ich ihn tragen darf.« Sie wendet sich an mich: »Bist du fit genug für einen Spaziergang?«
    »Ja«, sage ich, »wenn ich behilflich sein kann.« Ehrlich gesagt, bin ich froh, hier wegzukommen, wo alles piepst und summt wie ein Schwarm Killerinsekten, die jeden Augenblick losschlagen.
    Annas Eclair-große Tasche hängt über ihrer Schulter, und ich stelle fest, dass ich mir wünsche, sie enthielte genau das Eclair, für das sie entworfen wurde. Aber Anna zieht ein Taschentuch daraus hervor und reicht es mir. Unter meinem Nasenloch zeigt sich Blut; ich tupfe es ab.
    »Und wo soll ich sie hinstellen?«, fragt sie Gerd.
    »Bring sie runter in den Lagerraum – hier sind die Schlüssel.«
    Wir gehen also auf Mission für Gerd, wer weiß, wohin oder wozu, aber es ist das Mindeste, was ich für ihn tun kann, und vorwurfsvoller als hier kann es sich dort auch nicht anfühlen. Vielleicht stabilisiert ein Spaziergang meinen Zustand sogar so weit, dass ich ein bisschen Weisheit zusammengekratzt bekomme, denn während ich hinter Anna hertapere und dem Auf und Ab ihres Hinterns in der Jeans zusehe, werde ich daran erinnert, dass mein Leben vorbei ist. Mich erwartet nur noch der Tod, wo sich rein gar nichts mehr bewegt, weder auf noch ab. Ich schlurfe als Gespenst durch die Gegend, und während der Flughafenlärm hinter uns abebbt, wird mir klar, dass ich die Ruhe dieser Stunden, den Raum der breiten, pragmatischen Berliner Straßen und das Fehlen profitgieriger Zwischenwelten nutzen muss, um auf einen raschen Tod zu sinnen – und zwar einen ohne Bankett.
    Bis zur Ampel an der Schöneberger Straße ist Anna schweigsam.
    »Warst du schon

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