Das Buch Gabriel: Roman
zum Thema Arsch auf Plastik kommt, ist kein Mädchen mehr Sozialistin. Du brauchst nur dickes Leder, schon fällt das Höschen.«
Didier spielt also eine Kombination aus versautem Onkel und Soldat, testet meinen Humor – von Mann zu Mann, Sie wissen schon – und macht mich weich. Ich muss lachen. Er gibt ein knurrendes Lachen zurück.
»Jedenfalls ist das Ganze rein spekulativ«, sage ich. »Eine Schildkröte ist mir zuvorgekommen.«
» Quoi? Eine Schildkröte?«, rufen die Männer.
»Sie fährt nach Südamerika. Zu den Riesenschildkröten auf Galapagos. Sie ist ganz vernarrt in Lonsesome George.«
»Ahh«, sagt Thomas, »der berühmte. Das Tier ist so was wie hundert Jahre alt.«
»Uff.« Didier rollt mit den Augen. »Dann gibt’s keinen Grund, sich schlecht zu fühlen. Du musst ja nur sagen, dass sie mehr auf Ältere steht.« Lachen erfüllt den Wagen, zwei Tenöre und ein Bassbrummen, während der Mercedes sich geschmeidig in den flüssigen Verkehr fädelt.
Erst als dieses Geplänkel, das Männer zu hierarchischen Rudeln ordnet, vorbei ist und wir auf dem Weg nach Tempelhof sind, zeigt Didier mir sein Gesicht: Nach ein bisschen Klatsch über kriselnde Banken guckt er über die Schulter, und ich wage die Bemerkung: »Ein Luxusbankett in einem solchen Klima ist schon irgendwie zynisch, oder?«
Bevor er darauf antwortet, sagt er sanft: »Nur für den Fall, dass du nicht sowieso davon ausgehst: Was du ab jetzt siehst und hörst, bleibt unter uns. Du wirst merken, unsere Geheimnisse sind keine schwere Bürde – nein, sie sind leicht und flüchtig wie kleine Schmetterlinge oder gestohlene Küsse. Aber wir müssen sie hüten. Noch nie hat jemand mein Vertrauen enttäuscht – mit ein bisschen Nachdenken wirst du wissen, was das bedeutet, ha.« Er starrt mich an, bis ich nicke, dann fährt er fort: » Bon. Was deinen Kommentar anbelangt: Du liegst vollkommen falsch, es hat absolut nichts mit Ironie zu tun. Aus der Perspektive der Mittelschicht sieht es vielleicht so aus, als würde die Wirtschaft kriseln, aber in Wahrheit hat der Kapitalismus seine Arbeit bestens erledigt, er konnte gar nicht anders. Es sieht zwar so aus, als würde der Markt in den Vorstädten, den Ghettos, im Einzelhandel und in den Nachrichten versagen, aber wir leben in der reichsten Zeit der gesamten Menschheitsgeschichte. In der um ein Vielfaches reichsten Zeit. Es herrscht ein Überfluss, von dem die Römer nur träumen konnten. Das fällt uns nur deswegen nicht auf, weil der Kapitalismus so erfolgreich ist – der wahre Reichtum liegt in den Händen einiger weniger. Noch nie besaßen so wenige so viel, ha. Noch nie.«
»Und das behalten sie schön für sich.« Durch die Scheibe sehe ich ein älteres Paar, das sich mit einem Kinderwagen voller Zeugs die Straße hinaufmüht.
»Hör zu: Die ganze so genannte Wirtschaft ist bedeutungslos, davon darf man sich nicht ablenken lassen. Für die Gesellschaft war der Kapitalismus noch nie gemacht. Die Analogie geht so: Denkt an eine Weltraumrakete. Neunundneunzig Prozent der Rakete macht allein der Tank aus – und wenn der Treibstoff aufgebraucht ist, fällt der Tank zurück zur Erde. Was jetzt mit der Wirtschaft passiert, ist genau dasselbe – sie ist ein leer herunterfallender Kanister. Die Leute, die die Rakete gebaut haben, sind ganz weit oben im Weltall. Nichts wird ihnen oder ihren Nachfahren je wieder etwas anhaben können, in fünfhundert Jahren nicht. Groß oder klein, das ist die einzige Wahl, die das menschliche Leben dir bietet, mein Freund.«
»So gesehen der perfekte Zeitpunkt für ein Bankett.«
»Ganz genau. Es gab nie einen besseren – obwohl er uns auch vor eine große Herausforderung stellt. Leute, die Reichtum anhäufen, haben oft keinen Geschmack, keine ausgebildeten Sinnesorgane. Ein paar stammen direkt von Kameltreibern ab oder kommen aus dem rüpelhaftesten Bürgertum, die wenigsten sind geistreich oder intelligent oder haben einen Sinn für feine Unterschiede. Die Leute denken immer, dass die Mächtigen sich in einer Welt exquisiter Raffinesse aalen, bloß weil sie Antiquitäten besitzen und Kunst an der Wand hängen haben. Aber Macht und Geschmacksbildung schließen sich aus. Man kann nicht auf fast schmerzhafte Weise sensibel und gleichzeitig mächtig sein. Die beiden Seiten zerstören einander. Die Mächtigen besitzen große Kunst, weil die Kunstwerke selbst mit Macht aufgeladen sind. Die Herausforderung für uns besteht also darin, abgestumpfte Sinne zu
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