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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
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»Wenn du einen Gast vergiftest, musst du dich dann umbringen?«
    »Früher war das mal so, ha. Drauf geschissen, ist sowieso nicht mein Bier – Tomohiro, der Große, ist der Küchenchef. Er ist heute Abend der Einzige mit einer Lizenz.«
    »Verfolgt ihr denn, wie viel die Leute so bestellen? Kann man nicht auch einfach zu viel davon essen?«
    »Du siehst ja gleich, wie’s läuft. Die meisten Gerichte sind nicht giftig, und das Gift-Sashimi ist so dünn geschnitten, dass du da durch noch Pornos sehen könntest. Minimale Gefährdung. Der echt krasse Stoff sind die Innereien. Die Leber und ganz besonders die Eierstöcke. Aber Innereien stehen nicht auf der Karte, sie sind streng verboten. Sogar den Fisch im Ganzen zu verkaufen, ist in Japan illegal. Und wir dürfen die Innereien auch nicht in den Müll werfen, es sind schon Obdachlose auf der Straße davon gestorben. Ich glaube, man kann sie noch nicht mal verbrennen. Ein Eierstock kann dreißig Menschen töten, ha. Aber trotzdem wollen alle damit rumspielen. So’n Macho-Ding, wie russisches Roulette. Man darf von den Innereien nur naschen, und keinen Schritt weiter. Übers ganze Land verteilt sterben jedes Jahr ein paar Leute.«
    »Aber wie werdet ihr die Innereien dann los?«
    »Was weiß ich. Die werden abgeholt. Werden wahrscheinlich im Meeresboden verbuddelt oder über scheiß Nordkorea abgeworfen. Irgend so was. Wir haben einen Spezialkühlschrank dafür, man könnte denken, der wäre für Atommüll. Ich habe ihn erst ein paar Mal gesehen. Ist aber ja auch egal, komm, wir suchen dir einen Tisch.« Smuts schält sich aus seinem Stuhl. »Ach übrigens, mein scharlachroter Putain – ich hoffe, du bist nicht auf irgendwelchen Medikamenten?«
    »Hm – warum?«
    »Weil ich für dich bestellen werde.«

8
    Eine Hostess in einem Kimono bedient mich mit der zögerlichen Anmut eines Storchs. Als sie sich unter der Deckenbeleuchtung bewegt, kreuzt sich ihr Weg mit dem ihres Schattens. Gäste treffen ein. Ihre Bügelfalten, Farben und Zigaretten verwischen das Ölgemälde des Salons, setzen es in Bewegung. Die Kugelfische schauen aus dem Aquarium an der Wand; hin und wieder wird einer in einem pagodenförmigen Kistchen in die Küche transportiert, wobei Kopf und Schwanz herausstehen, nach Luft schnappen und hin und her schlagen. So sieht’s aus, und gelegentlich strahlt mich Smuts über die Theke hinweg an, wo er mit der Chirurgie seltener Speisen zugange ist.
    Über einem Sashimi von Torafugu behalte ich die Küche im Blick, um keine Hinweise auf Giftstoffe zu verpassen. So vergehen einige Minuten, bis ich mich schließlich dabei ertappe, mir die Köche vorzustellen, wie sie sich die Innereien über die Schulter werfen, wobei ihnen Eierstöcke wie Murmeln auf den Boden fallen. Ich muss lachen. Während eines Banketts den eigenen Tod zu planen, hat wenig Anstand und zeigt mangelndes Vertrauen in die Enthusiasmen. Jetzt ist Opportunismus vonnöten. Ich verschiebe die Planungen auf spätere gloriose Momente, die sicherlich kommen werden. In diesem Augenblick ist wichtig, so viel wie möglich aus dem Limbus herauszuholen, die Zwischenwelt auszukosten. Da meine Sinneswahrnehmungen bereits extrem gesteigert sind, schwelge ich einfach in dem, was so passiert, rauche, trinke und spüre den luxuriösen Salon um mich herum wie einen Seidenmantel. Was für ein Salon des Nervenkitzels, ein Limbus zum Üben, mit tödlichen Hors d’oeuvres. Was für eine fantastisch zivilisierte Kultur, die sich so etwas ausgedacht hat.
    Irgendwann bringt mir Smuts auf seiner Fingerkuppe ein Scheibchen Fisch, eine Art amuse-morte , und bedeutet mir, es mit den Stäbchen zu nehmen. Wie eine Katze sieht er zu, als ich es esse, und platzt fast vor Stolz, als ich reagiere. Welch feine Ausformung der Kultur des Jagens und Sammelns! Zwischen weiteren Raffinessen kommt dann wie aus heiterem Himmel der Moment, in dem ein Fisch die Oberfläche des Aquariums durchbricht. Als er wieder hineinklatscht, treten alle Speisenden im Saal miteinander in Beziehung, sie nicken, lächeln und stoßen überrascht die Luft aus. Sie nutzen die Gelegenheit, um sich, wie Speisende es so tun, gegenseitig unter die Lupe zu nehmen und eine Bindung herzustellen. Ich bin einer von ihnen, ich nehme Kontakt auf, ich öffne sogar meinen Mund und zeige auf das Aquarium, was zugegebenermaßen ein bisschen übertrieben ist. Aber an einem Ort der Besinnlichkeit wie diesem ist ein springender Fisch ein Höhepunkt, und Höhepunkte sind

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