Das Buch Gabriel: Roman
wohingegen es so aussieht, als hätte dieser Mann eine Methode entdeckt, einen Schritt zurückzumachen. Einen Schritt zurück, und zwar auf seinem Zenit.
Ich wende mich an Smuts: »Und dieses Geheimnis, diese Pointe, von der du erzählt hast – geht’s bei der darum, nach seinen Träumen zu greifen? Oder einfach glücklich zu sein mit dem, was man hat? Es klingt nämlich so, als hätte dieser Mann ein super Leben gehabt, bevor er wegging.«
»Keine Ahnung, Putain, das musst du ihn fragen, auch Didier sagt dazu nichts. Aber trotzdem: Lass dich von der Idee nicht allzu sehr wegschießen, man wird nur verrückt davon. Genieß den Wein, sieh dich um und frage dich selbst: Kann es denn noch besser werden? Ha?«
»Viel besser nicht.«
Smuts sieht mir stolz zu. »Glaubst du mir jetzt, dass das hier das richtige Rüstzeug für die heutige Zeit ist? Das ist Yoshidas einziger Vorzug: Er hat Geschmack. Er hat dieses Zimmer hier für Toque gebaut, musste dann aber jede Flasche vorkosten, für den Fall, dass eine nicht abhob. In Sachen Preisgestaltung ein krasses Desaster – die ganze Flasche konnte er ja nach dem Probieren nicht mehr in Rechnung stellen, und oft hat man Transport erst im dritten oder vierten Glas. Und wenn es pro Abend mehr als eine Gruppe Gäste im Weißen Zimmer gab, war er am Ende völlig besoffen. Mit Marius hatte dieses Problem ein Ende, obwohl er ihn nicht mehr allzu oft hervorholt. Japanern fehlt das Alk-Gen. Letzten Monat hat irgend so eine Yakuza-Fotze die Wände vollgekotzt. Wir mussten das ganze Zimmer neu streichen lassen.«
»Es ist ein Tempel«, sage ich. »Ein Nimbustempel.«
»Das hier ist noch gar nichts, du solltest mal eins von Didiers Events sehen – nicht, dass dir das je möglich sein wird. Eigentlich darf man noch nicht mal darüber sprechen. Also bleibt der ganze Scheiß im Dunkeln. Ich habe von Marius-Springbrunnen gehört. Von wahren Fontänen. Deswegen muss ich mich auch ordentlich aufführen – mit etwas mehr Fugu-Erfahrung nimmt Didi mich vielleicht mit rein in sein Europa-Geschäft. Das wäre das höchste der Gefühle. Didier ›Le Basque‹ Laxalt ist der Pate des hochkarätigen Caterings.«
»Ich frage mich, wie du ausgerechnet zum Fisch gekommen bist.«
»Zum Unkalkulierbaren im Fisch. Schon mal Torafugu gegessen?«
»Kann ich nicht behaupten.«
»Giftkugelfisch. Sehr geil. Der Trick ist, ihn so zu filettieren, dass du gerade genug Gift zu dir nimmst, damit deine Lippen prickeln. Ein kleiner Kuss des Todes. Das ist hohe Schule – wenn deine Lippen taub werden, bist du am Arsch. Es gibt kein Gegengift. Eine Lizenz kriegst du erst nach Jahren.«
»Steht bei euch nichts anderes auf der Speisekarte?«
»Nur Fugu, allerdings nicht irgendeiner: Er wird heute gezüchtet, giftfrei – bei uns aber kriegst du wilden Tigerkugelfisch, der im Japanischen Meer geangelt wird. Extrem giftig. Stillschweigend bezieht ihn der Baske illegal und jenseits der Fangquoten – weswegen wir die Fische im Aquarium morgen auswechseln und für die Kontrolleure normale einsetzen müssen. Yoshida hat einen Monsteraufstand gemacht.«
»Du klingst nicht, als hättest du ihn ins Herz geschlossen.«
»Dieser Zwergpimmel ist nichts als Geschäftsmann, es geht ihm nur um die Kohle. Wenn er mit Supermarkt-Fugu mehr verdienen könnte, würde er das machen – aber die Leute zahlen eben einen Aufpreis nur für das wirklich brisante Zeug. Du glaubst nicht, wie viel Schotter der macht. Nächsten Monat eröffnet er schon ein zweites, noch größeres Lokal, dessen Wände komplett aus Salzwasseraquarien bestehen – als würde man unter Wasser essen.«
Auf einem Marius-Bergrücken verharrend denke ich einen Augenblick nach. Ich bin in einem Limbus-Salon gelandet. An einem Ort, den Gäste aufsuchen, um den Schatten des Todes zu berühren. Mir wird schwindelig. Tod durch Gourmet-Kugelfische, was für eine barocke Kapriole der Enthusiasmen, besser als alles, was ich mir hätte erträumen können. Ich werde mit seelenverwandten Limbonauten dinieren. Whoosh. Die Fäden dieser Faktoren in den Händen zu halten, ohne Smuts dabei zu verletzen, ist natürlich auch ein bisschen wie eine Partie Schach. Aber die Enthusiasmen haben sich als Virtuosen des Endspiels offenbart, so viel sei vermerkt. Mit Marius in den Venen spüre ich, dass ich ihren Vorkehrungen für diesen Abend trauen kann. Jetzt werde ich mich erstmal entspannen und meine Sinne öffnen.
Ich merke, dass Smuts mich beobachtet. »Hm«, sinniere ich.
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