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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
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»Torafugu-Leber. Einmal in deinem Leben. Mach auf.«
    »Bekomme ich vorher noch einen letzten Drink?«
    »Nicht essen, nur schmecken. Mach auf, Putain.«
    Ich öffne den Mund. Smuts lässt die Leber nicht los, sondern schiebt sie hinter meine Oberlippe, wo er sie nach rechts und nach links führt. Dann nimmt er sie wieder heraus und beobachtet mich. Ein Prickeln durchfährt mein Zahnfleisch. Whoosh. Eine unwiderstehliche Angelegenheit. Die Enthusiasmen haben mir einen Vorgeschmack meines Todes gegeben.
    Ich hoffe, auch Sie bemerken das, mein letzter Freund – sehen Sie nur, wie sich die Natur des Schicksals zeigt, spüren Sie, wie seine Dynamik sich entfaltet. Sehen Sie, wie kunstvoll die Bestandteile dieser Nacht zueinander finden. Und für den Fall, dass Sie beabsichtigen, hier zurückzubleiben – das alles gibt gewiss auch Ihnen eine wertvolle Leitlinie fürs Leben vor. 22
    Smuts legt die Leber wieder zurück in die Schale. »Krass, oder? Das Ding so lange drin zu behalten, hat meinem Mund einen Elektroschock versetzt. Jetzt weißt du auch, warum Yoshida mich ins Boot geholt hat – es ist nämlich mein Kontaktmann, der den wilden tora liefert. Habe ich Didier Le Basque schon mal erwähnt?«
    Das ist ein schlechtes Zeichen. Zu vergessen, welche Monologe er schon gehalten hat, bedeutet, dass Smuts aus dem Nimbus gefallen ist, wie ein Adler, der von einer Oberleitung kippt. Obwohl jetzt wahrscheinlich ein guter Zeitpunkt wäre, die Leberschüssel einzusacken, beschließe ich, ihn bei einer letzten privaten Runde wieder hinaufzuziehen.
    Wir setzen uns an den Tisch, und ich spiele mit der Schale, wobei ich sie Stück für Stück näher an mich heranziehe. »Schon lustig«, sage ich, »aber bei dem Namen Didier Le Basque denkt man ja nicht gerade ans Japanische Meer.«
    »Häh?« Smuts schwankt. »In unserem Business denkt man bei diesem Namen an nichts anderes als an äußerst ausgesuchte Nahrungsmittel. Wenn er mir einen Job gibt, habe ich ausgesorgt. Am besten gleich bei einem seiner Bankette. Wenn du bei einem Basque-Event dabei warst, geht hinterher jede Tür für dich auf. Und er beobachtet mich, ich kann’s spüren. Er testet mich, ob ich der Sache gewachsen bin. Was ich jetzt brauche, um ihn so richtig zu überzeugen, ist ein fetter Auftritt in Europa. Ich bin mir sicher, wenn ich praktischerweise schon dort wäre, würde er mich sofort dazuholen.«
    Ich ziehe zwei kleine Wodka-Fläschchen aus meinem Mantel und mixe sie mit dem Whisky auf dem Tisch zu zwei Golden Bullets – in mehreren dünnen Schichten auf dem Wodka treibender Whisky ist bekannt dafür, auch den angegriffensten Nimbus wiederherzustellen. Darauf eine stramme Line, abschließend gefolgt von einem Drambuie auf Eis – etwas Geschmackvollem zum Genießen. Auf diese Weise sitzen wir bald darauf wieder in einem klaren Rauschzustand da, in dem kristallinen Stadium später Trunkenheit, an dessen Ende ein Hochplateau liegt, eine Savanne, zu der alle Trinker immer wieder zurückzukehren versuchen. Das ist der Nimbus, auf den ich es heute Abend abgesehen hatte, angstfrei und bedenkenlos, ein Ort, den man nach hartem, aber erfolgreichem Exzess erreicht, einem Exzess, der seine Spitzen nicht allzu früh gehabt hat oder – falls doch – dem eine Dosis hilfreicher Substanzen beziehungsweise taktisches Kotzen den Weg nach oben wieder geöffnet hat; ein Ort, der meistens erst beim zweiten oder dritten Versuch nach dem Stadium, das man für das letzte gehalten hat, zu existieren beginnt; ein Ort, dessen Ausweitung nicht durch Essen, sondern durch Tanzen befördert wird; ein Ort, über den man oft nur zufällig stolpert, weil man direkt unter seinem Gipfel zusammengebrochen ist.
    Hier verbringen wir unsere Zeit wie Leute bei einem Picknick, wir trinken und rauchen Kette, denn auf diesem Plateau ist man dem endgültigen Zustand, in dem mehr oder weniger wovon auch immer bedeutungslos geworden ist, so nah wie irgend möglich. Ein Tibet aus Glycerin, in dem man mit ausgebreiteten Armen und frei von sich selbst unter Sternen dahintrudelt.
    Nur das leise Blubbern des Aquariums ist mit uns.
    In diesem Stadium ergreife ich Besitz von der Innereienschale. Mit jeder winzigen Leber, die ich in einen Salzstreuer umsetze, verschieben sich die Präferenzen meines Limbus Stück für Stück Richtung Meer, in Richtung Kälte, graues Wasser und Salz, in Richtung Donnern der Wellen auf den Ohren. Und während die Vorlieben zu Gelüsten anwachsen, befällt mich die Idee,

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