Das Buch Gabriel: Roman
eine andere wimmelnde Menge geraten sind und die Orientierung verloren haben. Diese Nacht ist nur Tod, Tod, Tod, Tod. Ich ziehe ihn magnetisch an.
Während ich über diesen Ironien brüte, presst Smuts knackend den Kiefer zusammen.
»Aber eigentlich«, sagt er, »hat er das Gift ja bestellt. Er hat es bestellt!«
»Genau. Er hat dich mit Drohungen dazu gezwungen.«
»Und das in einem noblen Etablissement, das sich auf tödliche Gifte spezialisiert und in dem der Kunde immer König ist. In einem Lokal, das Risiko serviert. Was hätte ich tun sollen – ihn nicht bedienen? Wenn er in ein Lokal kommt, das Risiko serviert, und Risiko bestellt – bekommt er natürlich Risiko von mir. Ist es meine Schuld, wenn er Pech hat?«
»Absolut nicht.«
In Smuts regt sich zarte Hoffnung. Aber kurz darauf kippt ihm der Kopf wieder auf die Brust.
»Als ob sie das so sehen würden.«
Ich starre meinen Freund an. Jetzt erst wird mir klar, warum ich instinktiv seine Nähe gesucht habe: Weil er den Großteil seines Lebens im Limbus verbracht hat. Mein Vater redete immer von Smuts’ Leichtsinn – weil er ein Waisenkind war, weil ihm die Ankerkette fehlte, die uns vom Abgrund fernhält, der Anker fester Stammeltern. Aber es war nicht der Leichtsinn, den mein Vater wahrnahm; es war Unabhängigkeit. Noch bevor er in Bildern denken konnte, war Baby Smuts gezwungen herauszufinden, ob er allein in der Welt war oder doch umgeben von der Puderdose der Fürsorge.
Er war allein.
Und im Leben suchen wir immer wieder bei dem Zustand Zuflucht, den wir zuallererst kennengelernt haben.
»Ich bin so was von erledigt jetzt«, sagt er. »Und der scheiß Himmel steh mir bei, wenn der Name des Basken deswegen besudelt wird. Für den Fall gibt’s gar nicht genug Eierstöcke im Meer.« Hart klappt sein Kiefer zu. Dann durchwühlt er meinen Wintermantel auf dem Stuhl neben uns nach Kurzen. Es sind keine mehr übrig, das Einzige, was er findet, ist das Fläschchen mit Jicky. Er nimmt den Verschluss ab, schnuppert daran, trägt es zur Bar, schraubt eine Flasche eiskalten Wodka auf, schenkt zwei Kurze ein und haut in jeden einen Tropfen Jicky. Ich kann die Drinks näher kommen riechen, sehe fast, wie sie einen Schweif aus Sternenlicht hinter sich herziehen.
»Engelstränen«, sagt Smuts.
Wir nehmen die Gläser in die linke Hand und stoßen sie durch ihren Dunst hindurch leicht gegeneinander. Sie rauben uns den Atem, ersetzen die Atemluft mit dekadentem Duft. Als ich irgendwann die Sprache wiederfinde, habe ich das Gefühl, dass es mir zufällt zu sagen: »Tschuldige, dass ich dich so aus dem Tritt gebracht habe.«
Nickend sieht Smuts zum Aquarium hoch, auf die neuen Fische. »Du bist eine Fotze, Siegel. Dich braucht echt kein Mensch, weder hier noch dort. Aber ich hab auch meinen freien Willen. Typisch, dass ich in der Situation zu hoch gepokert habe. Nicht nur, dass Didi mich finanziert, woran für mich alles hängt – nein, ich habe ihm auch erzählt, wie einfach das alles werden würde. Wahnsinnig einfach sogar. Ehrlich gesagt, habe ich so langsam die Schnauze voll von mir. Ich hatte keine Ahnung, dass es mit einer Fugu-Lizenz zehn beschissene Jahre dauern kann. Ich dachte, ich bin hier nach einem halben Jahr durch – und dass ich das dachte, ist ein halbes Jahr her! Was hab ich ihm gegenüber mein Maul aufgerissen, als würde ich an der Ziellinie starten, als wäre alles nur Formsache. Und wie du weißt, mag ich Fisch noch nicht mal. Ich hasse Fisch, und deswegen bin ich in einem Laden gelandet, wo sogar der Chef wie einer aussieht. Und dann ist da noch diese andere kleine Sache. Eins meiner üblichen kleinen Problemchen. Saudämlich von mir. Das kommt auch noch auf mich zu.«
»Was denn?«
»Ich will noch nicht mal hören, wie ich’s ausspreche. Egal. Das war mein letzter Versuch. Ich bin sechsundzwanzig. Zu alt, um noch ein derartiger Flachwichser zu sein, ha.« Sein Kopf hängt so tief, dass er fast in seinem Schoß liegt. Ich sehe, wie er vom Ansturm der Gefühle geschüttelt wird, sein Rücken strafft sich, und in seinem Hals bildet sich eine Perle, die er runterschluckt. »Ich bin am Ende meiner Kräfte. Keine Ahnung, wie’s weitergehen soll.«
»Und wenn du gemeinsam mit diesem Didier mal bei deinem Chef vorsprichst? Ihn ganz dezent daran erinnerst, welche Vorteile du ihm bringst?«
»Also bitte, da steht Didi meilenweit drüber. Er ist nur der Strippenzieher, kein Schwanz weiß, wo er gerade steckt. In Frankreich oder sonst wo.
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