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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
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werde langsam warm mit ihnen und bringe ebenfalls einen Toast aus:
    »Auf uns – und diejenigen, die so sind wie wir«, sage ich. »Auch wenn die alle tot sind.«
    Der Alte blickt mit zusammengekniffenen Augen nach oben, sieht sich jedes einzelne Wort in der Luft an. Dann lacht er, und der gesamte Tisch nickt und lacht mit. Der Nimbus bläht sich zu neuen Höhen auf, und ich frage mich: Ist es eine Falle oder ein Geschenk der Enthusiasmen, ein Anstoß oder ein Rückschlag, dass diese Stunden mir ein derartiges Willkommen von Fremden bescheren? Hier, auf der anderen Seite der Welt, bin ich plötzlich unter gleich getakteten Seelen, im Nimbus verstehen wir uns gegenseitig und sind für diesen Abend Brüder – was für mich an diesem Abend heißt: für immer und ewig.
    Werde ich in Versuchung geführt, von allen meinen Plänen Abstand zu nehmen – oder dazu, mich final zu verabschieden?
    Weil: Besser wird’s sicher nicht.
    Ich kann nichts weiter tun, als mich hinzuknien und aus der nächsten Runde eine Zeremonie zu machen. Ich glaube, beim Einschenken im Gesicht des Alten Zögerlichkeit zu entdecken. Er schwankt leicht.
    Dann kommt Smuts zurück. Auf einem Tablett bringt er eine Schale und frische Stäbchen. Als er die Schale vor den Alten hinstellt, kann ich sehen, dass sie eine Reihe schleimiger Kügelchen enthält.
    Schweigen senkt sich auf die Runde. Smuts und der Alte sitzen einander direkt gegenüber, jeder bewaffnet mit bereits erhobenen Stäbchen. Über Klümpchen gebeugt, die nicht größer sind als große Pfefferkörner, beäugen sie sich. Der alte Mann hält sich mit Mühe und Not wach, die Lider fallen ihm herab, sein Kopf pendelt hin und her. Dann atmet er tief ein, sieht Smuts ins Gesicht. Und hält sich den Klumpen an die Zähne, mümmelt ihn weg, wobei er laute Schlürfgeräusche macht.
    Die Gefolgsmänner keuchen.
    Smuts saugt seinen Klumpen auf die Zunge, wo er ihn so herumrollen lässt, dass wir alle es sehen können. Dann beißt er ihn mittendurch und schluckt.
    Danach sitzen beide still da.
    Das Duell ist vorbei. Ich tue es den Spießgesellen gleich und studiere beider Gesichter, die ausdruckslos bleiben, nach unten geneigt. Sie blinzeln, fahren sich mit der Zunge im Mund herum und über die Lippen. Dann, als die Spannung ihren irisierenden Höhepunkt erreicht – sehen beide hoch und grinsen. Applaus brandet auf. Beide legen ihre Stäbchen zurück, verbeugen sich tief voreinander und schütteln sich die Hände. Überflutet von den Chemikalien, die das Adrenalin auflösen, schwingen wir uns auf in den geilsten Nimbus, den ich je erlebt habe – Rausch, Gefahr, Erleichterung und neu gefundene Brüderlichkeit erheben uns in schwindelnde Höhen, in einen klaren Himmel der Seligkeit. Schnell wird die nächste Runde eingegossen, und wir schnattern, grunzen und keuchen uns gegenseitig an, ohne uns zu verstehen, aber in perfektem Einverständnis.
    Natürlich sind Höhepunkte dieser Größenordnung eine anspruchsvolle Angelegenheit für den Körper. Als wir den Drink ausgetrunken haben, ist der ältere Limbonaut ruhig eingenickt.
    Seine Vasallen machen sich daran, ihm aufzuhelfen. Ihr Verschmelzen zu einer torkelnden Masse scheucht den Kraken hinter uns im Aquarium auf, er schwebt durchs Wasser und verteilt Lichttupfer im Raum. Schließlich bewegt sich die Gruppe als ein einziges Wesen zum Fahrstuhl, den lächelnden Alten zwischen den Schultern, und wir folgen, um gute Nacht zu sagen.
    Smuts öffnet die Tür zum Eingangsbereich. » Oyasuminasai! Und Jungs – er soll bloß kein japanisches Klo benutzen, sonst sehen wir ihn nie wieder.«
    Zwei der äußersten Arme recken sich aus der Masse, um zum Abschied zu winken.
    Als sich die Fahrstuhltüren schließen, dreht sich Smuts zu mir. »Sie hatten einen tollen Abend. Oder nicht? Den Boss habe ich jetzt in der Tasche, die sind so was wie seine ultimativen Lieblingsgäste.«
    Geht zum Tisch und spuckt die Leber aus.
    Ich folge und gucke in die Schale. »Du hast sie gar nicht gegessen?«
    »Ich bitte dich, wozu denn. Diese Typen sind wahrscheinlich immun dagegen. Wenn ein tora sie beißt, stirbt eher der Fisch.«
    Ich starre weiter in die Schale. Auch kleine Salz- und Pfefferstreuer gehören hier zum gedeckten Tisch, und ich bestimme zwei zu Schmuggelbehältern für die Innereien. Ich verliere mich so lange im Hinstarren, dass Smuts nach Stäbchen greift und ein Klümpchen aus der Schüssel pickt.
    »Aufmachen.« Er fuchtelt vor meinem Mund herum.

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