Das Buch Gabriel: Roman
das beweisen.« Nach erneutem Klopfen zieht Smuts mich in den rückwärtigen Teil des Lagerraums, wo er freier flüstern kann: »Die Küche hat Anweisung, ihr Essen zu machen nach der Schule. Nach dem College, du weißt schon. Und – du kannst es dir denken. Sie fing an, immer öfter hier aufzukreuzen. Und dann. Wie’s dann eben so ist. Und jetzt hört sie gar nicht mehr auf, mich zu drangsalieren.«
»Und sie heißt Maguro?«
»Nein, Keiko. Maguro nennt man hier traditionsbewusste Mädchen – solche, die sich einfach nur hinlegen, so dass man nicht weiß, ob man sie ficken oder reanimieren soll.«
Er leert sich die Flasche senkrecht in den Mund.
»Hat der Chef einen Verdacht?«
»Noch habe ich alle zehn Finger, wahrscheinlich also nicht.«
Wieder ein Schlag gegen die Tür.
»Die kann ich mir heute Abend nicht auch noch aufhalsen.« Smuts will sich eine neue Flasche greifen, verschätzt sich aber mit der Reichweite seines Arms und kippt fast vornüber.
»Einfach in aller Ruhe abwarten«, flüstere ich. »Die geht schon wieder weg, oder?«
»Ach, Scheiße, genau das ist das Problem. In letzter Zeit wartet sie länger und immer länger. Als wäre es Liebe oder so was. Die ist schwer beeindruckt von mir.« Smuts schüttelt den Kopf. »Deswegen habe ich mich freiwillig für die Frühschichten gemeldet, um zeitig hier rauszukommen. Ich meine, sie ist ein gutes Mädchen. Ich sage ja nicht, dass sie das nicht ist. Ein kluges Mädchen. Und sie hat echt Bock drauf, ha. Aber – ach, Scheiße. Ich hab einfach die Schnauze voll von mir, langsam müsste ich’s mal wissen.«
Wir beschließen, in Ruhe abzuwarten. Im blubbernden Halbdunkel kommt mir eine Offenbarung: Das Leben eines Menschen ist nichts weiter als ein fein aufeinander abgestimmter Rattenzirkus, immer am Rand der Katastrophe. Denn es sind immer so viele Ratten im Spiel, dass das Chaos vorprogrammiert ist, sollte eine von ihnen aus dem Tritt kommen. Smuts hat vielleicht mehr Ratten als die meisten – und ich habe heute Abend seine Tür weit aufgestoßen und bin mit Käse wedelnd hereingeplatzt. Mir wird angst und bange. Nicht, dass ich etwas sage, aber all das strömt durch mich hindurch. Währenddessen steht das Mädchen immer noch wartend an der Tür und klopft dann und wann.
Smuts fängt an, im Raum auf und ab zu gehen. Als ihm auffällt, dass er nicht gehen kann, ohne Geräusche zu machen, bleibt er unschlüssig an Ort und Stelle stehen und scheint sich bald hierhin, bald dorthin stürzen zu wollen. Zweimal sage ich ihm, er solle nicht mit den Zähnen knirschen. Smuts ist völlig am Ende.
»Und ich hatte dir noch gesagt, dass ich vor Mittwoch nicht frei habe«, zischelt er schlussendlich. »Und jetzt sieh dir die Scheiße an. Wir müssen hier raus.«
Das Zischeln war zu laut.
»Neru-san?«, kommt eine Piepsstimme.
Als ich sehe, wie ihn die Kraft vollständig verlässt und er zu zittern anfängt, packe ich ihn an den Schultern und versuche, ihn zu beruhigen. »Smuts«, flüstere ich, »hör mal …«
Aber es ist zu spät. »Du bist eine zu kurz geratene, verfickte Stalkerin, Keiko!« Er sprengt quer durch die Küche: »Was für eine Oberkacke! Nerusan, Nerusan, Nerusan, ha!«
Keiko schreckt zurück, als er ins Foyer geschossen kommt. Ich sehe zu, wie die beiden in den Speisesaal gerasselt kommen, Smuts ist völlig von Sinnen, das Mädchen versucht, an ihn ranzukommen, um ihn zu streicheln, sie tatzt in die Luft und stößt Quieker aus wie eine kleine Katze. Das Licht aus dem Aquarium spielt auf ihnen. Er sieht dreimal so groß aus wie sie, aber wenn man sie in der Silhouette betrachtet, hat sie die Figur einer jungen Frau, wie eine perfekt geformte Miniatur.
Smuts wirft sie mit dem Gesicht nach unten quer über einen Tisch und schiebt ihr hinten den Rock hoch. Sie kichert und rudert mit den Armen. Ihre Stiefel fliegen durch die Luft.
Wie erstarrt stehe ich in der Tür zur Vorratskammer. Um irgendwie am Ball zu bleiben, hasten meine Empfindungen voran, stolpern durch einen Tag, an dem gewaltige Kräfte entfesselt wurden, an dem Fortuna mehrdeutige Zeichen sandte und der vorerst unverstanden bleibt. Schaudernd wird mir klar, dass ich diese Traumbilder niemals sortieren werde, mir bleibt keine Zeit für Fortsetzungen und Analysen. Was die Szene vor mir betrifft, nun ja, Sie mit Ihrer leidenschaftlichen Veranlagung können sich sicher vorstellen, was für verheerende Auswirkungen so etwas auf die Sinne einer jungen, zusehenden Sphinx haben
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