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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
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seine Kegelform stellt sich wieder her, die Enthusiasmen fluten zurück. Und ich verlasse das Zimmer mit einem formidablen neuen Verbündeten – einem Mentoren-Limbus, nach dessen Vorbild ich meinen eigenen modellieren kann.
    Und dieser Mentor ist kein geringerer als der Master-Limbus des Kapitalismus selbst.
    Unter dem Vorwand, den Namen meines Hotels erfragen zu müssen, bitte ich darum, Smuts sehen zu dürfen, und sie gestatten es – kurz und in Begleitung eines Beamten. Bevor sie geht, notiere ich mir noch die Nummer der Übersetzerin, damit ich über sie die Polizeiwache kontaktieren kann; dann warte ich im Flur, während Smuts in einem angrenzenden Zimmer durchsucht wird.
    Ich warte und koste den Schmerz.
    Leute hinter mir zurückzulassen gefällt mir gar nicht.
    Etwas, das vielleicht die Stärke dieses Gefühls erklärt und das ich mit Ihnen teilen kann, ist folgende vertraulich zu behandelnde Geschichte: Als ich klein war, kam mein Großvater für ein paar Wochen zu Besuch. Tommy, wie wir Opa Brockwell nannten, lachte sich unaufhörlich ins Fäustchen, was seine Zunge bis zu einem erstaunlichen Grad zugespitzt hatte und sie wie einen Kuckucksuhrkuckuck aus seinem Mund herausstehen ließ. Aber als er alt war, fing sein Körper an, ihm nicht mehr zu gehorchen, und sein Gesichtsausdruck wurde erst unsicher, dann ängstlich.
    Eines Tages fiel er bei uns zu Hause hin.
    Die Generation meines Vaters war die erste, die sich nicht mehr um ihre Eltern kümmerte. Mein Vater meinte, es sei modern, sich um die eigenen Probleme zu kümmern und sich nicht allzu sehr von Opas Problemen runterziehen zu lassen, außerdem hätte Opa das ja sowieso nicht gewollt. Tommy allerdings hätte sich sehr wohl gewünscht, dass jemand sich um ihn kümmerte. Er fiel hin und lag auf der Seite, zuckend wie ein Insekt. Er sah zu uns hoch. Aber mein Vater – auf seinem neuen Psychogesundheitstrip – hatte für uns Kinokarten reserviert. Eine Freundin von Tante May, die früher Krankenschwester gewesen war, sollte vorbeikommen, um auf Tommy aufzupassen, während wir unterwegs waren.
    Als er stürzte, war sie noch nicht da.
    Mein Vater schaute auf die Uhr, fragte Tommy, ob soweit alles in Ordnung sei, setzte ihn ans Bett gelehnt hin und ließ ihn da sitzen, die Dame würde ihn schon finden. Denn sonst hätte der Film ohne uns angefangen – und das hätte Tommy doch sicher nicht gewollt. Ich erinnere mich, wie ich mich an der Tür zu seinem Zimmer noch einmal umdrehte. Er folgte uns mit den Augen. Sicher, zu seinen besten Zeiten, als er noch den Schalk im Nacken hatte, hätte er nicht gewollt, dass wir uns wegen ihm Umstände machten. Aber diese Zeiten waren vorbei.
    An dieser Stelle eine Frage an Sie: Was sollten wir respektieren? Wünsche, die sich in der Blüte des Lebens artikulieren, oder solche, die aus der Situation heraus entstehen, womöglich gar in schlechten Zeiten, wenn sämtliche Prinzipien passé sind?
    Später an jenem Abend fuhren wir auf unserer Straße einem stillen Krankenwagen bis nach Hause nach. Beim Prüfen der Hausnummern goss er Lampenstrahlen auf den Bordstein. Ich wusste, er kam wegen Tommy. Tommy öffnete seine Augen nie wieder.
    Ich fand, Das Piano war ein klebriger, schlammiger Film. Für ihn hatten wir Tommy im Stich gelassen. Und dasselbe Gefühl wie an jenem Tag habe ich heute. Stechender Schmerz. Ich darf niemanden zurücklassen. Es kommt jetzt auf mich an. Wie ich hier stehe, beschließe ich, Smuts alles zu gestehen, auf der Stelle, und mich ohne Wenn und Aber für jeden Einsatz anzubieten, der ihm helfen könnte.
    Das Zwischenreich des Limbus wird noch ein bisschen länger Bestand haben müssen.
    Als ein Polizist mich endlich in Smuts’ Zimmer winkt, finde ich ihn barfuß auf einer Bank sitzend und unter eine Löschdecke gekauert vor.
    Ich setze mich neben ihn. Die Stille lastet schwer auf mir.
    »Sie lassen mich laufen«, sage ich. »So kann ich dir besser helfen.«
    »Ja, tolle Hilfe«, krächzt er.
    »Falls du eine eidesstattliche Aussage brauchst oder so – jederzeit. Ich ruf an, sobald sich die Wellen etwas gelegt haben. Sag Bescheid, was ich tun kann, und ich tu’s.«
    »Du sagst mir jetzt erstmal, was zur Hölle du hier zu suchen hast.«
    »Also«, seufze ich. »Ich war in der Reha. Eigentlich hat das alles schon vorher angefangen, aber egal – ich war auf jeden Fall in der Reha und musste da raus.«
    »Aha, klar, und bei Burger King hast du genug verdient fürs Peninsula.«
    »Das war kein

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