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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
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aus der Tür. Ich sehe ihn an. Ich bekomme nichts anderes hin als ein leichtes Zusammenpressen der Lippen. Er gibt es zurück und verbeugt sich.
    Und damit verlasse ich diesen Schauplatz.
    Im Peninsula Hotel flutet Licht durch das Fenster. Wie alle Geschöpfe es tun, blicke ich so weit wie möglich nach unten und prüfe, wie tief man fallen würde. Mein Kopf sinkt gegen die Scheibe. Sie beschlägt vom Atem.
    Der Check-Out rückt näher, auf den Fluren laufen Staubsauger. Der Nimbus hat sich in Übelkeit verwandelt, Smuts ist verhaftet, ein alter Mann kämpft um sein Leben, ich bin nicht tot.
    Ich brauche einen Club.

BERLIN

11
    Eichhörnchen entzücken in den Parks von London, Tokio wird von den Schreien der Karasu-Krähe berieselt, in Berlin bedrohen Wildschweine die Jogger. Das ist in etwa die Whoosh-Dimension, mit der wir es hier zu tun haben, mein Freund.
    Lassen wir mal den größeren Zeitraum von drei Jahrhunderten beiseite, in denen Berlin der Fixpunkt eines Königreichs, einer Provinz, eines Kaiserreichs, einer Republik, eines faschistischen Reichs und einer marxistisch-leninistischen Kommune war, und vernachlässigen wir auch die Tatsache, dass die Straßen dieser Stadt den Kommunismus, die moderne Architektur, den Faschismus, die Relativitätstheorie und die Atombombe geboren haben: Allein in der Zeitspanne von fünfundzwanzig Jahren schafften es Berliner Foyers, nackte Sexsklavinnen mit dressierten Affen und koksgefülltem Schmuck, Adolf Hitlers Befehle, russische Massenvergewaltigungen, eine amerikanische Mittelschicht und einen Sowjetstaat zu beherbergen, der die Leute allein fürs Durchqueren der Stadt erschoss.
    Niemand kann Berlin noch etwas beibringen.
    Nach allem, was ich in den Jahren, nachdem ich dort war, gelesen und gesehen habe – wie ein Welpe habe ich Berlin-News erschnüffelt –, ist mein Eindruck von der Situation dieser Stadt folgender: Wenn London eine Trinkerin ist, die kurz davor steht, ihre Wohnungsschlüssel zu verlieren, ist Berlin eine Trinkerin, die gerade aufwacht und überrascht feststellt, dass sie noch am Leben ist, und das an einem Sonntag. Obwohl die höchste Erhebung der Stadt immer künstlich sein wird – ein Berg aus dem Schutt von circa vierhunderttausend zerbombten Häusern –, ist die neue, Einschusslöchern und Bunkern entsprungene Ära doch real. In meiner Wahrnehmung sind überall dort, wo keine Bäume und Blumen wachsen, so lange Kunst und Ideen gediehen, bis die ikonischen Graffitis die seit Neuestem dekorativ am Bordstein in Flammen stehenden Porsches, die Clubs, die Stars den Einlass verwehren, die brodelnden Subkulturen, Gegenkulturen und sturköpfigen Normalos irgendwann aus einem Munde riefen:
    Berlin ist nicht für die Eliten, sondern für die Menschen da.
    Und die stehen heute mit beiden Beinen auf der Erde. Limbus war gestern.
    Als der Flieger bebend durch altrosa Abendwolken nach unten fällt, fügt sich Marlene Dietrichs Stadtstaat unter mir aus Wäldern und Seen zusammen. In mir kribbelt es. Im Sinkflug wird ein an ein gut organisiertes Schienennetz erinnerndes, ordentliches Labyrinth sichtbar, eine Modelllandschaft aus Gebäuden, Behältern, Gehäusen und Takelwerk, die über das marschige Hinterland hinaus in Richtung polnische Grenze funkelt, noch immer unter der Aufsicht der blinkenden Spitze des Fernsehturms am Alexanderplatz, einem riesigen Augapfel auf einem Zahnstocher, einst errichtet, um den Westen hinter der Mauer zu verspotten. Während ich mein Gesicht ans Fenster drücke und hinuntersehe, denke ich über meine Odyssee bis hierhin nach. Eigentlich merkwürdig, dass sie, sobald ich sie Odyssee genannt hatte, auch zu einer geworden ist, voll von monströsen Prüfungen und dekadenten Talismanen namens Jicky und Marius.
    Ich frage mich, was die neue Etappe bringen mag. Als Berliner Luft die Kabine füllt, durchspült mich eine Mischung aus Angst und Hoffnung.
    Kurz vor meiner Abreise hat Smuts’ Tivolihirn noch im Peninsula angerufen. Es war ohne Frage das Tivolihirn, bestand der Anruf doch aus einem Monolog, der auf eine Art hoffnungsvoll klang, wie ein Verrückter vor einem brennenden Haus hoffnungsvoll klingt. Das Tivolihirn diktierte mir folgenden Ablaufplan: Direkt nach der Landung solle ich zu dem Club des dekadenten Moguls fahren, von dort aus Smuts anrufen und ihm Angebote unterbreiten, die er dann an Didier Le Basque weiterleiten könne. Es hat mir dafür insgesamt zwei Stunden gegeben, die Zeit eingerechnet, die es braucht, am

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