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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
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nicht gerade angesagt, konnte es doch bedeuten, dass man mehr hatte als der Nächste. Und was das Seltsame anbelangt: Aus meiner Kindheit erinnere ich mich an einen Westler, der in eine WG mit Ossis zog. Wenn beim Telefonklingeln einer von denen dranging, lief das Gespräch so:
    Anrufer: »Hallo, ist Wessi-Klaus da?«
    Ossi: »Ja.«
    Dann legte der Ossi auf und ging wieder seiner Beschäftigung nach – er hatte die gewünschte Auskunft ja gegeben. Offenbar waren Telefone im alten Osten verdächtige Objekte, so oft, wie sie von der Geheimpolizei abgehört wurden; und überhaupt: Übereifer konnte die Genossen schlecht dastehen lassen und war deswegen als egoistisch verpönt.
    Jetzt dirigiere ich den Fahrer in mein altes Revier, Prenzlauer Berg, Heimat des ursprünglichen Pego Club. Als wir in den alten Osten einfahren, habe ich einen Kloß im Hals. Aus dem Fenster sehend stelle ich fest, dass stylishe Bohemiens die hart gesottenen Proletarier der Nachwendezeit abgelöst, dass ergometrische Buggys die Einkaufswagen und Biosupermärkte die Ruinen von damals ersetzt haben. Während es zu meiner Zeit durchaus vorkam, dass Balkone von den Häusern brachen und zusammen mit den darauf Feiernden auf die Straße stürzten, sind die Fassaden heute zu großen Teilen saniert; da, wo einst Schatten lauerten, ist heute alles voller brummender Läden und Cafés. Eigenartig, denke ich – dass ich mit fünfundzwanzig schon sagen kann, wie anders es zu meiner Zeit war, ist kennzeichnend für unsere und Berlins schnelllebige Zeit.
    Trotz allem sieht es hier immer noch nach einem Ort für Frederick die Maus aus, auch wenn er heute mit einer Espressomaschine genauso gute Geschäfte machen würde. Was ich sehe, bringt mich zum Nachdenken darüber, wie falsch unser Bild von Deutschland immer noch ist – obwohl natürlich jeder Deutsche Berlin als einen Sonderfall bezeichnet. Dessen ungeachtet scheint es im britischen Interesse zu liegen, Deutschland als einen verbissenen, mechanistischen, unromantischen Ort und seine Bewohner als humor- und stillos wahrzunehmen. Aber die deutsche Sprache von heute ist weicher, sie birgt Überraschungen, Weite und Flexibilität, hat sogar ihre Schrullen, und die Leute haben wenig gemein mit den Hunnen, die wir so gerne in ihnen sehen. Vielleicht bleibt uns Briten heute, wo der letzte Schatten des Empire gerade hinter den Wellen versinkt, nur der Krieg als Verbindung zu Triumph und Identität. Während Europa sich um seine Neuerfindung kümmert, summen wir die Titelmelodie von Gesprengte Ketten und warten darauf, dass man uns sagt, was als Nächstes kommt. Das einzige plündernd und brandschatzend umherziehende Volk heute sind die neuen Hunnen: wir.
    Für mich als Kind war die Kastanienallee die nächstgelegene Durchgangsstraße, ein langer, gerader Hang, der auf das Zentrum von Ostberlin zukippt, dorthin, wo die blinkende Spitze des Alex steht. Man erkennt die Straße kaum wieder, betriebsam und hell erleucht, wie sie heute ist. Nachdem er die Straße zur Hälfte durchquert hat, wird der Fahrer langsamer und sucht, auf weitere Anweisungen wartend, über den Rückspiegel meinen Blick. Ich weiß noch, dass der Club irgendwo an der Brunnenstraße war, er aber sagt, das sei eine sehr lange Straße, wenn ich mein Geld nicht rauswerfen wollte, sollte ich besser die Adresse rausfinden und zu Fuß gehen. Die Argumentation ist stichhaltig. Da meine Landung noch keine halbe Stunde her ist und jetzt das Hotel Kastanienhof vor mir auftaucht, weise ich ihn an, mich dort rauszulassen. Es ist sinnvoll, mir ein Zimmer zu nehmen, mir Orientierung zu verschaffen und mich frisch zu machen, bevor ich den Oberschlemmer Specht treffe.
    Ich bete darum, dass der Club montags geöffnet ist.
    »Also dann«, grunzt mein Erster Echter Einheimischer und hebt die Ladung Marius aus dem Wagen. »Hier in der Gegend wissen die mehr über die Clubs.«
    »Danke« , sage ich.
    »Jedenfalls mehr als ich, ich bin aus Hannover.«
    Mein Einheimischen-Ideal ist leicht angekratzt, als ich die alte Hotelpension betrete. Sie ist nicht das Peninsula, aber sauber, modern und auf eine Weise anheimelnd, wie es nur der Fall ist, wenn das Personal seit Jahren nicht gewechselt hat, wenn es quasi dort zu Hause ist und seine Gastfreundschaft schon in manch einer Winternacht auf die Probe gestellt wurde. Ich erfahre zum Beispiel, dass ich an der Rezeption ein Schachbrett ausleihen, während des Wartens auf den Fahrstuhl meine Schuhe polieren lassen und beim

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