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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
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bist dann nicht einfach gegangen?«
    »Das frage ich mich manchmal auch!«
    »Wärst du lieber damals gegangen, als mir jahrelang Vorwürfe zu machen, dass du’s nicht gemacht hast.«
    »Soll ich dir sagen, warum ich geblieben bin? Weil du mir leid getan hast !«
    Whoosh. Die Stille kommt in Schockwellen.
    In der Pause zwischen dem letzten Satz und dem Klappern billiger Absätze tauchen in meinem Kopf Gerds Augen auf, wie sie über den Rand ihrer Höhlen quellen. »Wo willst du denn hin?«, ruft er ihr hinterher. »Was ist denn mit der Reise? Soll ich die wieder stornieren?«
    »Mach, was du willst!« Gisela verlässt klackernd den Kiosk. Als sie an mir vorbeigeht, halte ich den Atem an. Der Mercedes steht noch draußen, aber Giselas Energie ist so furchteinflößend, ihr Eintritt ins Gravitationsfeld der Erde so spürbar, dass er losfährt, bevor sie ihm den Lack versengt. Die Gestalten auf dem Rücksitz bewegen sich nicht. Ich sehe den Wagen auf den Columbiadamm einbiegen, aus seinem Auspuff kommt eine Rauchfahne.
    Ein Stein fällt mir vom Herzen. Ich atme ein paarmal tief durch, achte auf Geräusche von Gerd und mache mich dann auf den Weg durch die Eingangshalle. Im Terminal sind nur wenige Personen, vor allem ältere Leute, die auf etwas warten, das vielleicht nie passiert. Ich gehe die paar Stufen hinab und sehe mich um. Zur Rechten befinden sich, noch ein paar Stufen weiter unten, die Toiletten. Aber gerade, als ich mich ihnen zuwende, tropft mir etwas Heißes auf die Lippe.
    Ich fasse hin. Es ist Blut.
    Als ich aufhöre, meine Nase zu betupfen, sehe ich eine kleine Gestalt die Flughafenhalle durchqueren. Was mir nur deshalb auffällt, weil sie den Kopf in dieser fragenden Art schief legt, wie Papageien und Hunde es tun. Während ich versuche, mir das Blut vom Gesicht zu lecken oder zu wischen, um es dann von der Hand zu lecken, tritt die Gestalt in den Bereich des Erkennbaren. Es ist eine junge Frau in einem roten Mantel und einer Baskenmütze. Sie nimmt ein Handy vom Ohr und schiebt es sich in die Tasche.
    Es ist Anna vom Kiosk.
    Ich versuche noch, meinen Mantel um mich zu ziehen, stelle aber fest, dass mein Hosenstall sperrangelweit offen steht, meine Unterhose fehlt und mein Gürtel immer noch nicht geschlossen ist. Ein Klumpen Unverdautes hievt sich in meinen Mund. Als ich ihn runterzuschlucken versuche, fängt meine Nase an zu bluten wie ein laufender Wasserhahn. Ich spucke den Klumpen aus und halte mir einen offenen Hemdsärmel unter die Nase, wobei ich so tue, als müsste ich mir das Haar richten, und mit einem Finger Strähnen von links nach rechts schiebe.
    Als Anna bis auf ein paar Schritte herangekommen ist, wird sie mit unbewegtem Gesicht langsamer, bleibt schließlich stehen und mustert mich eindringlich. »Ein Haar hast du vergessen«, sagt sie dann und zeigt mit dem Finger auf mich.
    Ich nehme den Arm runter. Blut tropft mir auf die Füße.
    »Brauchst du einen Krankenwagen?«
    Bevor ich antworte, ziehe ich einen dicken Blutbatzen die Nase hoch, aber das Blut platscht immer noch auf den Boden und läuft mir in den Mund. Ein Tropfen bleibt kurz an der Unterlippe hängen und fällt erst dann herunter. »Ich glaube, ich brauche nur ein Stück Kuchen«, krächze ich.
    Sie nickt langsam.
    »Um es zu essen – oder dir durch die Nase zu ziehen?«
    Jetzt ruft das Adrenalin die Drogen wieder auf den Plan, und ich versenke mich in die Spritzer auf dem Boden. Sie steht da und starrt mich an. Ich fange an zu schwanken.
    »Verbringst du deine Donnerstagabende immer so?«, fragt sie.
    »So ungefähr. Manchmal gehe ich auch einen trinken.«
    Ich registriere ein winziges Heben der Augenbrauen. Es ist kein Zeichen von Erheiterung. Aber auch kein Zeichen für das Gegenteil. Und sie sagt: »Vielleicht hat Gerd ein Stück Kuchen für dich. Findest du das Klo alleine?«
    »Ja, danke. Danke, Anna.«
    »Pff.« Sie dreht sich um, wobei ihr Mantel so anmutig schwingt wie eine Glocke.
    Ich stolpere zur öffentlichen Toilette. Sie befindet sich sauber und menschenleer in ihrem unterirdischen Reich, eine kühle Oase, in der Sie und ich ein bisschen zu uns kommen können. Sie ist erfüllt vom platschenden, spritzenden Echo meines sich entleerenden Körpers (Verzeihung), dann stillt kaltes Wasser den Blutfluss und kriegt auch mein Gesicht wieder einigermaßen sauber. Ich sitze eine ganze Zeit auf einer Kloschüssel, alles dreht sich, dann wird der Kuchenmangel zum Notfall. Gerd kennt mich noch nicht, weswegen er meinen

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