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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
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Zustand vielleicht für ganz normal halten könnte. Wenn ich mich an der Wand entlangschiebe, sieht er vielleicht nicht, dass ich barfuß bin. Ich knöpfe den Mantel auf ganzer Länge zu und gehe wieder die Treppe hoch.
    »Frederick.« Er lächelt mich durch die Scheibe hindurch an – dann: »Mein Gott, was ist passiert? Wo sind denn deine Schuhe? Komm rein, komm, setz dich.«
    »Ich brauche nur ein Stück Kuchen.«
    » Haa – trainierst du schon für unsere kleine Party? Das wird vielleicht eine wilde Nacht heute, was? Allerdings bist du ungefähr zwölf Stunden zu früh dran.«
    Ich sehe, wie Anna aus dem Hinterzimmer herausgrinst.
    »In circa einer Woche veranstalten wir übrigens noch mal eine Spezialparty, falls du da noch da bist.« Gerd macht sich daran, Kaffee zu kochen. »Eine noch größere, die letzte, bevor wir Tempelhof verlassen. Eine Abschiedsparty. Hast du schon mal Berliner Kartoffelsalat gegessen? Gisela macht einen, total authentisch. Sie ist eine tolle Köchin, musst du wissen.«
    Der Zucker eines süßen Teilchens für sechzig Cent überführt meinen Organismus in einen stabilen Kater. Ein Symptom desselbigen ist allerdings Sentimentalität, und schon bald tut mir von Gerds bemühten Versuchen, sich fröhlich zu geben, der ganze Brustkorb weh, habe ich doch mitbekommen, was vorher passiert ist. Ich fühle mich von diesem Wissen beschmutzt, denn insgeheim bemitleide ich ihn; und Mitleid ist das kraftraubendste Geheimnis, das man haben kann, und gleichzeitig eines, das man unbedingt für sich behalten muss. In diesem Fall bin ich nicht in der Lage, es auszuhalten, führe eine Entschuldigung ins Feld und humpele hinaus zu einem Taxi.
    »Haa« , ruft Gerd mir nach. »Bis später hoffentlich!«
    Ich winke ihm flüchtig zu und schlüpfe zurück in mein Bett, wo der letzte schwache Restzucker im Hirn noch beschließt, zu Gerds Party zu gehen. Man weiß ja nie. Eine wilde Party, Sie haben gehört, dass er das gesagt hat. Und dafür braucht es ja wohl mehr Glanz und Gloria als nur einen Kiosk. Oder?
    Bevor ich mich hinlege, bete ich vorsichtshalber. »Oh, Sohn Gottes« 30 , krächze ich, »großer auratischer Prophet, beschütze dieses dein Gelage. Lass einen Nimbus von deinen Gnaden walten, lass die Party aller Wahrscheinlichkeit trotzen, lass sie ausschwärmen in seit Kriegszeiten unbetretene palastartige Salons, die leer stehen, damit wir sie nach Belieben in Beschlag nehmen können.« Meine pathetischen Worte krümmen mich bald darauf auf dem Bett zusammen, wo ich übergangslos in den Schlaf falle. Träume schlagen auf wie die Wirbel eines Tornados.
    In einem bin ich anscheinend ein Patriarch im 19. Jahrhundert und besitze genügend Persönlichkeit, um mit Anna eine Familie gegründet zu haben. Sie sitzt steif und reserviert da, wie Frauen es zu tun pflegen, die althergebracht in den förmlichen Künsten der Ehe unterwiesen wurden. Wir müssen manierlichen Geschlechtsverkehr gehabt haben, wahrscheinlich durch einen bestickten Schlitz in einem Leintuch, denn zwei kleine Babys liegen in ihren Armen; das eine ist Smuts, das andere der gealterte Gerd.
    Meine Aufgabe ist es, mich um einen Urlaub zu kümmern.
    »Was für eine Art Ferienaufenthalt hatten Sie denn in Erwägung gezogen, Sir?«, fragt mich der Mann im Reisebüro.
    »Einen ozeanischen Aufenthalt«, erwidere ich.
    »Ich verstehe.« Er öffnet einen gewaltigen Katalog, dessen Seiten er mit ausgestrecktem Arm umblättert. »Eine Überfahrt auf einem Dampfer? Einige namhafte Schiffe werden in Bälde auslaufen, sowohl Passagierschiffe als auch – nun, ich bin so frei – Frachter, Sir.«
    »Frachter, sagen Sie? Handelsschiffe?«
    Sein Blick über die Augengläser hinweg wird schmal: »Diese gewährleisten von Zeit zu Zeit etwas, sagen wir, ›intimere‹ Erlebnisse während der Überfahrt. Für diejenigen, die vielleicht mehr die Einsamkeit der Tiefe selbst suchen. Sozusagen, Sir, versteht sich.«
    »Ja, ja.« Ich schlage mit der Hand auf den Tresen. »Das klingt genau richtig. Und laufen möglicherweise sogar Schiffe aus, die nicht – wie soll ich sagen …«
    »Nicht – zurückfahren, Sir? Nicht zurückkehren?«
    »Hm. Ja. Schiffe, die sozusagen eventuell nicht ganz und gar zurückkehren, jedenfalls nicht in der üblichen Verwendung des Begriffs?«
    »Ich verstehe.« Der Angestellte beugt sich näher zu mir und blinzelt nur. »Das verstehe ich durchaus. Im Grunde ist es also eher ein – Sinken , Sir, was Sie zu buchen belieben?«
    »Nun ja«

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