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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
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– ich straffe mich – »ich nehme an, so könnte man es fassen. Wenn Sie so wollen.«
    Der Angestellte legt den Kopf schief: »Das macht unsere Auswahl natürlich erheblich kleiner. Aber ich könnte Ihnen zum Beispiel eine Abfahrt anbieten, die nach – Maracaibo geht, Sir.«
    »Ah – Maracaibo!«
    »Ja, Sir. Maracaibo. Natürlich … ist Maracaibo nur das Fernziel . Wenn Sie verstehen, was ich meine. Das Schiff wird lediglich den entsprechenden Kurs einschlagen. Nach der Einschiffung wird die Ostsee mit der Gnade Gottes so sein, wie sie nun mal ist, tja. Ähem. « Er räuspert sich.
    »Ja, ja.« Ich streiche mir übers Kinn. »Und alle Seelen werden also …?«
    »Ja, Sir. Alle, offenbar. Es ist einigermaßen tragisch, das sagen zu müssen.«
    »Wir werden also alle einfach – hm?«
    »Ich fürchte ja.«
    Whoosh – als ich aufwache, ist es schon fast wieder dunkel. Das war ein Traum, der sich nur schwer abschütteln lassen wird, dessen Fragmente mir noch eine Weile Rätsel aufgeben werden. Zusätzlich wache ich in dem Wissen auf, dass dies der Abend meiner letzten Chance ist. Mein Endspiel. Nach einigen Winkelzügen, Täuschungsmanövern und Fehlstarts mündet der Kegel heute in seinem Scheitelpunkt: Es geht ums Ganze.
    Mich auf einen Ellbogen wuchtend, lege ich mir zwei Lines und denke über die Frage des Gebets nach. Der Logik zufolge ist es klüger, von Gottheiten auszugehen als das nicht zu tun. So wahrscheinlich oder unwahrscheinlich die Erlösung auch ist: Ein Ticket dafür zu besitzen kostet nichts, das ist es, was die großen Denker erkannt haben. Und überhaupt: Den großartigen Propheten Jesus hat es historisch wirklich gegeben, da gibt’s nichts dran zu deuteln. Als Beweis seiner übermenschlichen Macht brachte er den besten Wein zur Hochzeit von Kana mit – was im Grunde das allererste Zeichen seiner übernatürlichen Begabung war:
    »Jeder setzt zuerst den guten Wein vor und erst, wenn die Gäste zu viel getrunken haben, den weniger guten. Du jedoch hast den guten Wein bis jetzt zurückgehalten.« So tat Jesus sein erstes Zeichen, in Kana in Galiläa, und offenbarte seine Herrlichkeit, und seine Jünger glaubten an ihn. 31
    Ja: Das Christentum ist einem Rotweinnimbus entsprungen. Der Prophet hatte sich derart überirdisch unter Kontrolle, dass er eine gesamte Hochzeitsfeier verstreichen ließ – die Leichtgewichtler waren nach Hause gegangen, die Bauerntrampel zusammengebrochen, und der harte Kern Bier schnorren gegangen–, bis er die beste Flasche hervorzog. Und siehe, sie frohlockten und folgten ihm nach.
    Ich beschließe, den Pelz als Talisman zu tragen, glätte mir die Haare und betupfe mich mit Jicky, bevor ich meine Erscheinung im Spiegel begutachte. Was ich sehe, ist unverkennbar ein Gespenst zwischen zwei ausgelassenen Partys. Gerd mag ein bescheidener Mann sein, überlege ich mir, aber eine Party ist eine Party, und eine wilde Party – ja, sogar eine Spezialparty, wie er es gesagt hat – muss in jeder Sprache eine Orgie sein. Zu Ehren des Propheten nehme ich einen Schluck Wein und bereite mich auf den letzten Schachzug vor – aber als ich meine Nasenlöcher nach Resten von Schnee absuche, fängt das Telefon an zu klingeln, und ich verspanne mich. Nachdem ich ihm kurz beim Beben zugesehen habe, mache ich, dass ich aus dem Zimmer komme, bevor es noch mal klingeln kann.
    Als ich in Tempelhof eintreffe, ist es ein frostiger Abend geworden. Der Flughafen erhebt sich still und schwarz vor einem laternenhellen Himmel, einige wenige seiner Fenster sind erleuchtet, gerade so viele, dass sie ein Glühen wie ein Stück Kohle absondern. Ich bleibe stehen und versuche, pulsierende Rhythmen oder Gelächter oder irgendeinen Aufruhr zu hören. Aber ich höre nichts. Als ich die Stufen hinaufschwanke, gerate ich in den Sog der Schwerkraft, und die Eingangshalle kommt mir noch ruhiger vor als sonst schon. Was bedeutet, dass sich der schnarrende Atem eines älteren Menschen und sogar das Rascheln von Kleidung aus einiger Entfernung vernehmen lassen. So wie jetzt. Die Geräusche lenken meine Aufmerksamkeit auf die Kioskseite der Halle. Dort drängen sich im Halbdunkel eine Handvoll Leute an den Tischen, allesamt schon etwas älter, Männer und Frauen. Von Gerd ist nichts zu sehen. Hin und her gerissen stehe ich in der Tür, fast entschlossen, die ganze Angelegenheit einfach zu knicken. Noch mehr tendiere ich dazu, als Gisela Specht im Kioskinneren auftaucht; sie trägt eine Lederjacke zu einem

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