Das Buch Gabriel: Roman
anderes, als mich mit Lösungen und Annehmlichkeiten zu bewerfen. Genau wie Smuts habe ich das Gefühl, in Hundejahren zu leben und ans Glücksrad genagelt zu sein.
An dem vielleicht wirklich dieses Klackerding ist.
Aber tief in mir sitzt trotzdem ein Unbehagen, und als die letzte Straßenbahn am Hotelfenster vorbeiquietscht, frage ich mich, ob das vielleicht hiermit zu tun hat: Nachdem ich die ganze Woche lang von einer Welt in die andere gewechselt bin, mich in jeder wohl gefühlt und in beiden Freunde gefunden habe, hat sich die Szene auf der Treppe heute Abend angefühlt, als wäre mir die Tür zu einer von ihnen zugeschlagen worden. Obwohl ich weder Anna noch Gottfried gut kenne, identifiziert sich doch ein Teil von mir mit ihnen und hat das Wissen in ihrem Blick als Abschied gedeutet. Vor allem bei Anna war das so, die komischerweise – verstörenderweise – jedes Mal, wenn ich sie sehe, hübscher zu werden scheint und mir mit ihrer kühlen, sphinxhaften Art immer mehr Respekt abnötigt. Mein Eintreffen in einer Limousine hätte zu Hause einer Menge Mädchen das Herz oder zumindest die Beine aufgehen lassen – aber vor Anna hat es sich angefühlt, als hätte ich nicht nur sie, sondern auch mich selbst verraten. Hat unsere Interaktion schon eine solche Nuanciertheit, dass sie mir, ohne ein Wort zu sagen, derartige Wahrheiten vermitteln kann? Und falls ja, welche Feinheiten transportiert ihr Blick sonst noch so? Entdecke ich da gerade eine ganz neue Koketterie, ein gewisses schelmisches Funkeln bei ihr, während sie mich bloßstellt? Hat sie mich in so kurzer Zeit schon erfasst? Aber warum sollte sie mich überhaupt erfassen wollen, und zu welchen Schlüssen war sie bereits gekommen, die ich jetzt widerlegen oder bestätigen konnte?
Pff, wer weiß. Fürs Erste schiebe ich alles auf die Erschöpfung und die Einbildungskraft eines schuldbewussten Geistes. Vielleicht wird mir einfach nur klar, dass sie jemand ist, der in meinem früheren Leben eventuell mein Interesse erregt hätte. Noch so eine Ironie aus dem Repertoire des Limbus.
Wie auch immer – als der Morgen dämmert, fühlt sich die Geschichte an wie eine weitere Entkopplung, wie iPod-Stöpsel in den Ohren. Viel später erst schlafe ich ein, und als ich aufwache, bleibt mir gerade genügend Zeit, mir meine Klamotten überzuwerfen und raus zum Wagen zu stürzen. Eine einzige Synapse in meinem Gehirn ist aktiv: Sie sagt mir, dass ich heute Teil der kapitalistischen Welt werde.
Im Stadtzentrum angekommen, wartet diese Welt schon wie eine Braut auf mich, in Form eines Willkommensbüffets, das eine ganze Ecke des Adlon Kempinski überwuchert und in Richtung des Brandenburger Tors explodiert. Iranischer Imperial-Kaviar schimmert zwischen Austern, Süßwasser-Flusskrebsen, Buchweizen-Blinis, Maine-Hummern, Riesengarnelen, Pfifferlingen, Entenlebern, Trüffeln, Rochenflügeln, Tauben, Artischocken, Froschschenkeln, Muskattrauben, Feigensenf, Passionsfrüchten und Kaninchen, während Törtchenberge, Puddings, Petit Fours, Pasteten und Kuchen dieselben schamlosen Mittel einsetzen wie seltene Vögel, die in der freien Wildbahn Sex feilbieten.
»Haben Sie Erdnüsse?«, fragt Thomas den Kellner. »Es sei denn« – er wendet sich an mich – »du ziehst es vor, dich wie ich für Champagner und Erdbeeren zu entscheiden?«
»Bier wäre mir lieber.« Ich rubble mir übers Gesicht. »Oder einfach ein bisschen Schlaf.«
Der Adelige lehnt sich entspannt zurück und lächelt mich über den Tisch hinweg an. Dann macht er auf der Tischdecke Platz für Getränke, Erdbeeren und die Nussmischung. Wir stoßen an, und er beißt einer drallen Erdbeere die Spitze ab. »Danke für den Wein, ich lasse ihn ins Zimmer des Basken gehen. Er kommt morgen an, stell dich schon mal drauf ein, dass in Sachen Geschwindigkeit dann alles deutlich anzieht. Und jetzt kommt ein Angebot: Im Tausch gegen die Schlüssel zu dem Komplex bekommst du von mir den Schlüssel zu einer Junior Suite hier oben. Wir müssen den Stein ins Rollen bringen, die Zeit ist unglaublich knapp.«
»Klingt nach einem schlechten Deal.« Ich kippe das Bier. »Ein Schrank hier im Tausch für den größten Weinkeller der Geschichte. Wo soll ich denn da noch mit meinem Flugzeug landen?«
Thomas lacht und greift sich in die Tasche. »Wenn du das so siehst …« Er bedeutet mir, unter dem Tisch die Hand aufzuhalten und lässt etwas darauf fallen. Bei einem schnellen Blick unter die Tischdecke erkenne ich einen leuchtend
Weitere Kostenlose Bücher