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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
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von deinem 2004er in Empfang nehmen könnten, ich habe seit über einem Jahr keinen mehr auftreiben können. Vielleicht könntest du, falls du dieses Wochenende in den Keller kommst, eine für ihn mitbringen?«
    »Hm – in was für einen Keller denn?«
    »Ha, sei nicht so bescheiden. Du gefällst mir immer besser, Gabriel.«
    Whoosh. Meine Hand fällt mitsamt Hörer hinab. Auf der anderen Seite des Betts höre ich Thomas durch den kleinen Lautsprecher im Hörer wie eine weit entfernte Hornisse:
    »Du wirst einfach immer besser. In was für einen Keller – ha!«

18
    Welcher Bestandteil der Besitztümer eines Libertins profitiert wohl am meisten von kühlen, dunklen und konstant temperierten unterirdischen Kellerräumen?
    Oh ja, ganz genau. Als das Taxi zurück über die Spree gleitet, tätschele ich meinen Sack voller Marius, ja ich öffne ihn sogar ein Stück weit, um eine der Flaschen zu streicheln. Vielleicht kann mir Schönheit doch noch behilflich sein. Denn es ist nur logisch, dass Gerd sich gesträubt hat, mir den Schlüssel zu leihen, nachdem ich erwähnt habe, den Bunker erforschen zu wollen. Aber wenn sich sein eigenes Lager dort befindet, das wahrscheinlich auch Anna und der Sauer-Frau zugänglich ist, dann ist weniger das Aushändigen des Schlüssels das Problem, sondern vielmehr das Betreten verbotener Gebäudeteile. Weswegen ich einen eher fachmännischen Grund brauche, um den Bunker zu betreten – zum Beispiel die Notwendigkeit, etwas in der Vorratskammer zu lagern. Und wenn es um das Heil und die Sicherheit eines außergewöhnlichen Einhornweines geht, hätte ich sogar Gottfried auf meiner Seite.
    Ach, Thomas, du Genie! Du Concierge der Enthusiasmen!
    Als ich die Abflughalle betrete, sehe ich, wie Gerd gerade seine Strickjacke anzieht. Und auch wenn sich meine Situation von der faktischen Seite her betrachtet gar nicht verändert hat, setzen das Imponiergehabe der wankelmütigen Fortuna und das Klingeln der Flaschen in meinem Beutel die Energie der ungehinderten Durchfahrt frei, die Energie der Gewissheit, welche die bloße Zuversicht längst hinter sich gelassen hat. Vom Gewicht des Beutels ganz außer Atem, erkläre ich Gerd, dass dieser äußerst seltene Wein für ein paar Tage eine krisenfeste Heimstatt braucht. Er sieht zu Anna rüber, die im Hinterzimmer aufräumt, dann zieht er den Schlüsselbund hervor und gibt ihn mir: »Weißt du noch, welche Türen? Erst der grüne Schlüssel, dann der gelbe.«
    »Danke, ja. Bin gleich zurück.«
    »Gib den Schlüssel dann Anna.« Auf dem Weg Richtung Tür bleibt er stehen und starrt mich an: »Und Frederick – da unten ist er wenigstens vor Gottfried in Sicherheit, was? Haa! «
    Als ich mich dem Keller nähere, wird mein Puls zackig. Es ist nicht einfach die Aufregung. Als ich die Tür zum Bahntunnel öffne, weiß ich mit einem Schlag: Ich steige hinab in ein Zwischenreich. Ein echtes. Der Gedanke lässt mich schwankend verharren. Tempelhof: ein Limbus. Gabriel: ein Limbus. Das Licht der Sicherheitslampen bricht sich in den Pflastersteinen zwischen den Schienensträngen, und ich bleibe stehen, wobei ich mich vorwärts und rückwärts umsehe. Die Gleise laufen in beide Richtungen ins Dunkel, die Lichter verlieren sich hinter Kurven. Hinter mir die Vergangenheit, vor mir die Zukunft.
    Meine Augen füllen sich heiß. Eine Träne fällt auf die Straße, Licht fällt darauf und bringt sie zum Glitzern. Sie ist das Einzige, was hier unten glitzert. Und plötzlich ist dieser Ort ein Modell meines Unbewussten: dunkel, schwärend, durchtunnelt.
    Mit einem winzigen Glitzern in der Mitte.
    Und in Kürze ein für alle Mal außer Betrieb.
    Nachdem ich eine Flasche für Thomas herausgenommen und den Sack in der Kammer gelassen habe, kann ich nicht widerstehen, auch noch in den Bunker zu gehen. Der Schlüssel gleitet in die Tür zum Wunderland, ich schalte das Licht an. Und ich starre durch die Bogengänge, als ob ich in einen Brunnen sehen würde. Dieser Raum ist bedeutsam. Ein von den emotionalen Schatten all jener, die auf des Messers Schneide ihres Lebens hier gewesen sind, durchdrungenes Pan’sches Habitat. Wenn Trauben Sehnsüchte in sich aufnehmen können, dann müssen diese Wände vor Sehnsucht zittern, müssen sie ausdünsten und in die Nacht hinausschreien.
    Ein merkwürdiger Luftzug, in dessen Kielwasser neue Ideen strudeln, treibt mich in den Bahntunnel zurück. Jetzt lässt Thomas plötzlich anklingen, dass ich vielleicht mit einer Bezahlung rechnen

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