Das Buch Gabriel: Roman
kann. Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht, so beschäftigt war ich mit meinem Tod. Wenn tatsächlich alles gut gehen sollte, finanziert diese kleine Eskapade hier ja vielleicht Gerds Neustart. Ein bisschen Kapitalismus für einen guten Zweck, rigoros gemanagt natürlich. Die Symmetrie ist perfekt, würde Smuts sagen. Eine Umverteilung von Reichtum. Mein Tod kann ja trotzdem noch folgen, und zwar so, wie ich ihn mir vorgestellt hatte: ein Bankett, wie es seit dem Fall des Alten Rom nicht mehr stattgefunden hat. Gerd haftet nicht für das Risiko. Auch wenn ich die Schlüssel nachmachen lasse – sein Bund bleibt wohlbehütet oben bei ihm. Die Küchenüberwelt wird den Komplex für eine Nacht in Besitz nehmen und die Verantwortung dafür selbst tragen. Und während Gerd oben aus seinen letzten Bockwurstverkäufen noch Gewinn schlägt, werden hier unten vielleicht schon Notpolster angelegt.
Und Familienschuld zurückgezahlt. Was für eine Symmetrie!
Obwohl ein Sensor in mir vor diesem finalen Kopfsprung in den Rachen des Master-Limbus warnt, frage ich mich: Warum nicht?
Gerechte Pläne scheinen von alleine die Energien zu generieren, die es braucht, um sie umzusetzen. Ich fege also die Treppe hoch direkt auf die Straße, wobei ich aufpasse, nicht von Anna gesehen zu werden. In einer Telefonzelle wähle ich Thomas’ Nummer und bitte ihn mit leiser, verschwörerischer Stimme um Hilfe, ohne etwas zu erklären. Nach gerade mal einer Zigarettenlänge blitzt sein Mercedes im Verkehr auf.
Nur Bettina sitzt darin, die Haare unter einer Chauffeur-Mütze hochgesteckt – eine so hinreißende, selbstbewusste und moderne Erscheinung, dass ich an der Tür kurz innehalten und Sie, mein Freund, hinzurufen muss: Treten Sie gemeinsam mit mir näher, hören Sie das kehlige Surren eines perfekten Motors, riechen Sie, wie sich der Geruch von Leder mit dem von Moschus verbindet, betrachten Sie diese makellose Maid, die sich als männlicher Dienstbote verkleidet und mit dieser Maskerade genauso wie mit uns spielt, die ihre Grübchen, Zähne und klaren Augen aufleuchten lässt, und stimmen Sie mir zu:
Der Master-Limbus hat so seine Qualitäten.
Ich lasse mich in den Sitz sinken, während Berlin wie ein Stummfilm am Fenster vorbeizieht und die einbrechende Dämmerung Purpur und Orange auf Milchglas malt. Die Beschleunigung des Wagens umschreibt das Kommende. Nämlich die Anfänge eines Whoosh. Eines endgültigen, unumstößlichen Whoosh. Denn es gibt wenig, was eindeutiger bewiesen ist als die Tatsache, dass der Master-Limbus des zeitgenössischen Kapitalismus Dinge in Gang setzt – und zwar in einer Geschwindigkeit, als ob alles schon gestern passiert wäre.
Nach drei Anrufen hat Bettina einen Schlüsseldienst ausfindig gemacht, der bereit ist, seine Werkstatt zu öffnen. Wir rasen zu der Adresse, und ich steige mit den Schlüsseln aus.
»Hmm.« Als er sie sieht, kratzt der Schlosser sich den Schnurrbart. »Den roten können wir nicht machen. Sie verstehen? Und den hier auch nicht und den hier auch nicht. Das sind Hochsicherheitsschlüssel.«
Durchs Fenster sehe ich Bettina aus dem Wagen steigen.
»Und sehen Sie den hier? Mit dieser ausgemuldeten Schnittkante? Das ist eine ganz andere Angelegenheit. Den können wir auf gar keinen Fall machen. Mit dem müssen Sie zu der Firma, die ihn hergestellt hat.«
»Ich brauche nur den grünen und den gelben, und diesen aus Messing hier.«
Der Mann nickt skeptisch. »Sie sehen aus wie die Schlüssel von einer Institution. Einige sind sehr alt, sehen Sie sich den hier mal an. Und sehen Sie hier, sehen Sie? Woher kommen die denn?«
»Ähm – von meinem Institut.«
»Ah – von dem hier um die Ecke, wie heißt das noch mal?«
»Nein – von dem anderen.«
Unbewegt heischen seine Augenbrauen nach einer Antwort, und ich lächle und blinzele, als ob es mir schwer fiele, Deutsch zu sprechen. Aber er wartet. Seine Finger schließen sich um die Schlüssel.
Zu guter Letzt sage ich » Das Institut … « und sehe hoch, um meinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen, »d as Institut zur Optimierung menschlicher Angelegenheiten .« Seine Brauen heben sich, er starrt mich an.
Als Bettina hereinkommt, bimmelt eine Glocke.
Der Schlosser zuckt mit den Schultern. »Und dieser hier, tja – ich glaube kaum, dass irgendjemand den nachmachen kann.«
»Ich brauche nur den gelben, den grünen und den aus Messing.«
»Hmm.« Er streicht sich wieder übers Kinn. »Brauchen Sie ihn schon am
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