Das Buch meiner Leben
Robert Bresson ihr Lieblingsregisseur sei. Da im Facets gerade eine Bresson-Retrospektive lief, schlug ich vor, uns gemeinsam Pickpocket anzusehen. Sie war einverstanden. Als sie auf dem Rückweg in ihr Klassenzimmer mit einem kleinen Satz über einen Stuhl sprang, schoss mir ein Gedanke – wenn man das so sagen kann – durch den Kopf: » Diese Frau werde ich heiraten. « Es war keine Entscheidung und auch kein Plan, es hatte nichts mit Begehren oder Seelenverwandtschaft zu tun. Es war nichts anderes als das Akzeptieren einer unausweichlichen Zukunft. Ich wusste, dass ich diese Frau heiraten würde, so wie ich nachts wusste, dass es Nacht war.
Wir sahen Pickpocket und später Lancelot du Lac, die völlig unromantische Geschichte von Lancelot und Guinevere – wenn die Ritter in ihren Rüstungen herumlaufen, hört man es klappern und stellt sich die wunden Körper darin vor. Anschließend gingen wir auf einen Drink in die Green Mill, wo ich sie an der Bar küsste. Sie stieg von ihrem Hocker und ging. Sie hatte einen Freund damals, den sie irgendwo auf einer Party fand, wo er zu einem wilden Song herumhopste. Sie holte ihn herunter auf den Boden der Tatsachen und machte Schluss. Und so begann unsere Beziehung. Anderthalb Jahre später zogen wir zusammen, zweieinhalb Jahre später machte ich ihr – natürlich beim Binden der Schnürsenkel – einen Antrag. Da sie mich nicht verstanden hatte, musste ich es noch einmal sagen. Ich hatte keinen Ring dabei, aber sie willigte ein.
Wir machten gemeinsame Unternehmungen. Wir reisten: Schanghai, Sarajevo, Paris, Stockholm. Ich brachte ihr Skifahren bei. Sie, gebürtige Chicagoerin, erzählte mir Geschichten von der Stadt, die ich sonst nie gehört hätte. Wir wohnten in einem Haus, wo es an der Tür klingelte, wenn man in der Küche an einer bestimmten Stelle kräftig auftrat. Wir kauften eine Wohnung mit zwei Kaminen. Wir hatten eine Katze, die starb. Einmal nahm sie vor dem Händewaschen ihren Ring ab, der daraufhin zu Boden fiel, immer weiterrollte und in einem Lüftungsgitter verschwand. Wir hielten uns für kultiviert und waren einander so zugetan, dass wir die Risse überdeckten, die sich schon bald zeigten.
Es dauerte ein paar Jahre, bis ich erkannte, dass wir die Bindung nicht hätten eingehen sollen, aber von meinen Eltern hatte ich die Vorstellung geerbt, dass die Ehe, wie so vieles andere in ihrem Leben, harte Arbeit war. Also stellte ich mir unsere Ehe als Bergwerk vor, in das man täglich einfährt, um nach einem wertvollen Metall zu graben. Eine funktionierende, lohnende Ehe hing ab von der Arbeit, die man in das Unternehmen steckte, der Zustand einfachen Glücklichseins wurde auf diese Weise in die Zukunft verschoben – wenn wir immer weitergruben, würden wir eines Tages glücklich sein. Aber vielleicht war das Metallvorkommen so spärlich, dass es für uns beide gar nicht reichte, und am Ende eines jeden Arbeitstages war ich wütend und erschöpft. Bald hielten wir die einigermaßen ruhigen Phasen zwischen unseren destruktiven Kämpfen für das Metall des Glücks. Das Nichtkämpfen betrachteten wir als Sinn und Zweck unserer Ehe. Unsere mühsamen Versöhnungsversuche nahmen wir als Ausdruck unserer Liebe. Statt mit Zuneigung und Wärme begegneten wir einander mit Versöhnungsgesten oder Aggression – manchmal irritierenderweise beidem gleichzeitig. Ich hatte häufig Wutanfälle, Ausbrüche tiefsitzender Verletzungen, mit denen ich hasserfüllt um mich warf wie mit Küchenabfällen.
Trotz allem kam das Ende meiner ersten Ehe unerwartet, weil Schmerz und Kummer Gewohnheit geworden waren, eine Nebenwirkung der täglichen Schinderei im Bergwerk. Immer wieder wollte ich mich L. gegenüber rechtfertigen, ihr beweisen, dass mich keine Schuld treffe, im Gegenteil, dass ich derjenige sei, dem Unrecht geschehe, der mehr zu leiden habe. Es endete schließlich auf dem Höhepunkt des ich weiß nicht wievielten Streits, der an sich gar nicht spektakulär war. Unsere Auseinandersetzungen verliefen nach einem eingeübten Muster, das stets darauf hinauslief, dass ich herumbrüllte und mit Gegenständen um mich warf. Normalerweise folgte dann eine Phase furchtbarer Schuldgefühle meinerseits, weil ich die Beherrschung verloren und L. abermals verletzt hatte – zum Schluss verbanden uns nur noch Schuldgefühle. Diesmal schoss mir während der Szene ein Gedanke (wenn das das richtige Wort ist) durch den Kopf: Ich mache nicht mehr mit. Ich wollte L. nichts mehr erklären
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