Das Buch meiner Leben
oder beweisen. Es lohnte sich nicht, es noch einmal zu versuchen, zu kämpfen. Es war wie in einer Zen-Geschichte: Ich war plötzlich vollkommen leer, aller Zorn und alle Liebe waren von mir gewichen. Mein Bergarbeiterleben war in weniger als einer Minute zu Ende. An diesem Abend im Januar 2005 fuhr ich L. durch ein Meer von Tränen zu ihrer Mutter nach Indiana und kehrte in unsere leere Wohnung zurück.
Am Ende einer Ehe steht der schwerfällige Tanz der Auflösung. Der Anblick der kalten Kamine war mir so unerträglich, dass ich schon bald nach einem möblierten Quartier suchte, wo ich unterkommen konnte, bis alles geregelt war. Meine Mittel waren begrenzt, die Wohnungen, die ich mir ansah, entsprechend heruntergekommen. Jedes dieser grauenhaft möblierten Apartments wurde mir von einem Verwalter gezeigt, der für Leute, die solche Wohnungen in Betracht zogen, nur Verachtung übrighatte. Jedes Mal betrat man eine Welt trostloser Einsamkeit. Ein Studio in der vornehmen Goldküste sah aus, als wäre dort gerade jemand ermordet worden und die Hausverwaltung hätte freundlicherweise die blutbespritzten Wände streichen lassen.
Am Ende entschied ich mich für ein Studio in der obersten Etage eines dreigeschossigen Hauses in der North Side. Die Hausbesitzerin – nennen wir sie Mary – wohnte in der zweiten Etage. Sie war eine auf Adoptionen spezialisierte Anwältin. Sie zeigte mir Fotos von glücklichen Paaren und Kleinkindern, die etwas verunsichert in ihrer neuen Umgebung auf einem Adoptivschoß saßen. Mary erschien mir als großzügige Frau, die gestrandeten Kreaturen, ob Hund oder Mensch, mit Verständnis begegnete. Sie stellte kaum Fragen und interessierte sich nicht für meine finanziellen Verhältnisse. Ich stellte sofort einen Scheck aus, den sie mit den Worten in Empfang nahm, dass ich hoffentlich nichts gegen Hunde hätte, denn sie habe mehrere und engagiere sich in einem Tierheim. Ich gab mich als Hundefreund zu erkennen, erzählte von Mek. Sie machte Ah und Oh. Ihr Haus schien für meine bevorstehenden Anfälle von Selbstmitleid genau das Richtige zu sein.
Ich fuhr zurück in die alte Wohnung, packte ein paar Koffer, die ich in meinen Honda Civic lud, und fuhr nach Westen in den Sonnenuntergang.
Hank Williams’ 40 Greatest Hits war eine der wenigen Kassetten, die damals in meinem Auto herumlagen und die ich bei jeder Fahrt hörte. Jemandem, der ein neues Leben beginnt, kann fast alles bedeutsam oder schicksalhaft erscheinen, weshalb ich mich auf dem Weg zu Marys mansion on the hill natürlich als der ramblin’ man sah, von dem der olle Hank sang.
Der Dunst des Bedeutungsschwangeren konnte jedoch nicht verhindern, dass mir in Marys Haus schon bald ein unerträglicher Gestank auffiel. Ich fragte mich, ob ich bei meinem ersten Besuch irgendetwas gerochen hatte, konnte mich aber nicht erinnern, dass mir etwas Unangenehmes in die Nase gestiegen war. Ich versuchte, den Gestank zu analysieren, als wäre er, sobald erkannt, erträglicher – eine verbreitete Illusion. Neben Hundescheiße und Hundepisse gab es weitere irritierende Ingredienzen: ganz allgemein schlechte Luft, scharfe Katzenpisse (denn es existierten auch Katzen im Haus), Kaffee, ein Hauch von Desinfektionsmittel. Am stärksten roch es nach billigem Hundefutter in Kombination mit Frittierfett, so als würde Mary das Zeug für ihre Köter frittieren.
Ich dachte, ich könnte mich an den Gestank gewöhnen, aber es wurde mit jedem Tag schlimmer. Einmal war es so unangenehm, dass ich in den nächsten Supermarkt lief, um extravagante Raumsprays zu kaufen. Eingedenk der zu erwartenden Scheidungskosten griff ich jedoch zu Air Wick, Sorte Apfel und Geißblatt, die den Kadavergestank im Haus vertreiben sollten. Zuerst war nur süßlicher Geruch in meinem Studio, doch nach einer Weile verbanden sich die beiden Aromen. Dieser Mix aus frittiertem Hundefutter, Apfel und Geißblatt war ein olfaktorisches Erlebnis, das ich hoffentlich nie wieder haben werde.
Und dann sah ich die leibhaftigen Hunde. Auf dem Weg zur Waschküche wurde ich von drei stolzen Kötern abgefangen. Zwei waren fett und hatten trübe Augen, der dritte war klein, mager, fickerig und sofort als Sexmaniac zu erkennen – er trieb es auch sofort mit meinem Schienbein. Mary stellte mir ihre Hunde vor. In Erinnerung ist mir nur noch der Name des größten – Kramer. Auf dem Rückweg von der Waschküche folgten sie mir, und während ich mein Studio betrat, hatte Kramer schon vor die
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