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Das Buch meiner Leben

Das Buch meiner Leben

Titel: Das Buch meiner Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Heamon
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Türschwelle gepisst.
    Fast jedes Mal, wenn ich zur Waschküche hinunterstieg, musste ich zwischen Kothaufen und Urinlachen Slalom laufen, und natürlich kamen mir irgendwann die Hunde entgegen. Manchmal wurde das Trio von einem neuen räudigen Köter verstärkt, den Nachbarn im Hof, der als provisorisches Hundeheim diente, ausgesetzt hatten. Neue Köter kamen und gingen, aber Kramer und Skinny Fuck (wie ich dieses reizende kleine Geschöpf nannte) und Number Three waren die Stammbesatzung.
    Jeder hatte seinen eigenen Charakter. Kramer war der Boss, Skinny Fuck mager und fickerig, Number Three langsam und träge. Wenn ich nachts schlaflos im Bett lag, konnte ich sie an ihrem Bellen und Heulen mühelos erkennen. Ihre Darbietung begann meist mit einem Chorstück, ausgelöst von einem vorbeifahrenden Bus, nach Mitternacht war es gewöhnlich eine Abfolge von Solostücken. Number Three hielt mich stundenlang mit seinem trägen Kläffen wach. Skinny Fuck war um zwei Uhr nachts genauso erregt wie zu jeder anderen Tageszeit, und Kramer übernahm die Frühschicht. Sein tiefes, unablässiges Gebell machte mich so verrückt, dass ich alle drei in meiner Fantasie der Reihe nach kreuzigte. Ein-, zweimal musste ich an Mek und seine ruhige Art denken – wie er die Augen aufriss, wenn mein Vater ihm etwas ins Ohr flüsterte, oder wie er einem den Kopf auf den Oberschenkel legte, einfach so.
    Kramer dagegen war meine Nemesis. Er schnupperte an mir, sooft ich vorbeikam, oder erledigte verächtlich sein Geschäft vor meiner Tür, nur um klarzumachen, wer Herr im Haus war. Mary sprach gelegentlich von einem Ehemann, aber die Post war stets an sie adressiert, und einen Mann habe ich nie im Haus gesehen oder gehört. Man konnte sich auch gar nicht vorstellen, dass irgendjemand – abgesehen von Mary und mir (dank der zweifelhaften Unterstützung von Apfel und Geißblatt) – den Gestank ertrug. An Marys mysteriösen Mann musste ich denken, als ich eines Tages an ihrer Wohnung vorbeikam, die Tür sperrangelweit geöffnet, und Kramer im Eingangsbereich wie ein Grenzwächter in Arizona patrouillierte. Ich hatte die Wohnung noch nie von innen gesehen. Wenn ich die Miete bezahlen oder Mary etwas fragen wollte, öffnete sie die Tür immer nur einen Spaltbreit, weil sie nicht wollte, dass die Hunde hinausliefen. Ich war unterwegs zu einem wohlriechenden Coffee Shop, in dem ich schreiben wollte, doch die weit geöffnete Tür irritierte mich. Vom Treppenhaus her rief ich »Mary«!, weil ich befürchtete, Kramer würde mir an die Gurgel springen, wenn ich eintrat, doch es kam keine Antwort. Skinny Fuck lag auf dem Sofa, ausgestreckt auf einem Stapel Wäsche und zufrieden gähnend. Mary! In meiner Fantasie sah ich ihre Leiche, schon ein wenig angeknabbert, in der Küche liegen. Vorsichtig trat ich ein, Kramer dicht hinter mir her. Rechts war das Schlafzimmer, vom Bett her starrte mich ein unbekannter Köter an. Die Wohnung war übersät mit schmutziger Wäsche, alten Zeitungen und Gutscheinen, Lebensmittelkartons und undefinierbarem Zeug. Ein Toter konnte durchaus irgendwo in der Wohnung versteckt liegen und vor sich hingammeln, den Hunden war der frische Leichnam gewiss lieber als die frittierte Scheiße. Marys Apartment sah aus wie eines dieser Häuser, die nach dem Tod des Besitzers komplett abgerissen werden müssen, weil sie, unmöglich zu reinigen, ein Gesundheitsrisiko darstellen. Ich ging weiter hinein, aufmerksam beobachtet von Kramer, der vermutlich überzeugt war, dass ich mühelos ausgeschaltet werden konnte, falls ich irgendwelche kompromittierenden Dinge in seinem Reich finden würde. Auf einem Küchenschrank hockten Katzen und starrten auf zwei Vögel in einem Käfig. Number Three lag auf dem Küchenfußboden, der ebenfalls von Unrat bedeckt war – dreckiges Geschirr, angeschimmelte Tupperware-Dosen, schmutzige Wäsche und undefinierbare Dinge –, der Herd unter einem Berg von Tiegeln und Töpfen begraben, Katzenstreu, das ich riechen, aber nicht sehen konnte. Inzwischen war mir richtig übel. Ich hatte das Zentrum des Gestanks entdeckt, aber keine Leichen gefunden und wollte auch nicht weiter nachforschen, sollten die Nachbarn und die Polizei sich darum kümmern. Ich verließ das Haus.
    Auf der Fahrt zu dem Coffee Shop, wo ich ein wenig schreiben wollte, legte ich die Hank - Williams-Kassette ein, und natürlich erklang dann » Move It on Over « . Mein neues Leben wurde völlig von Hunden bestimmt. Ich bezeichnete mein Studio als

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