Das Buch mit dem Karfunkelstein
mehrmals verstohlen umsah und dann zur Apotheke beim Hospital hinüberhuschte.
»Seltsam!«, flüsterte er Jakob zu. »Was macht der denn da?«
Wen sieht Paul?
Geheime Zeichen
Hastig zog Paul seinen Freund aus dem Skriptorium und schloss die Tür. Draußen war der strahlende Sonnenschein verschwunden.
Dunkle Wolken jagten über den Himmel und es konnte nicht mehr lange dauern, bis der nächste Herbststurm über Erlenburg fegte.
»Schnell«, flüsterte er, »komm mit in den Schlafsaal!«
Jakob und er rannten zum Novizenhaus hinüber. Paul öffnete die Tür und blickte sich um. Wie er vermutet hatte, war der Raum
leer. Die Oblaten und Novizen gingen ihren verschiedenen Aufgaben im Kloster nach und halfen im Obstgarten, in den Ställen,
in der Küche oder im Hospital. Paul lief zu einem Fenster und winkte Jakob zu sich heran.
»Da!«, sagte er leise und zeigte auf das gegenüberliegende Gebäude.
Die Tür zur Apotheke war sonst immer verschlossen. Jetzt stand sie einen Spaltbreit offen. Gespannt versuchten die Jungen
zu erkennen, was dahinter vor sich ging. Aber der Spalt war zu schmal, der Raum war dunkel.Plötzlich fuhren sie zusammen. Ein bläulicher Lichtschein flackerte auf und verlosch mit einem puffenden Geräusch. Kurz darauf
drang Rauch aus dem Türspalt.
»Feurrrio!«, schrie eine krächzende Stimme.
»Furax!«, wisperte Jakob. »Wenn das Bruder Anselm wüsste!«
»Da! Bruder Melchior!« Paul zeigte aufgeregt zur Apotheke. »Wir haben ihn richtig erkannt. Da kommt er.«
Sie duckten sich tiefer, damit sie Melchior beobachten konnten, ohne dass er sie sah. Der Cellerar stürzte aus der Apotheke,
so schnell es seine kugelrunde Gestalt erlaubte. Er lehnte sich einen Augenblick Halt suchend an die Wand, wobei er mit den
Händen angewidert vor seinem Gesicht herumwedelte. Furax hatte sich auf seiner Schulter festgekrallt und schlug wild mit seinen
kurzen Flügeln. Melchior holte tief Luft, schloss mit hastigen Bewegungen die Apotheke ab und ging am Fenster der Jungen vorbei.
»Puff! Ist das zu fassen? Einfach nur puff!«, hörten sie ihn leise vor sich hin schimpfen. »Und blau, nicht golden. Mehr Kupfer?
Mehr Eisen? Was mache ich nur falsch mit dem Donnerkraut?«
»Feurrrio!«, krächzte Furax auf seiner Schulter noch einmal begeistert.
»Ach, halt den Schnabel!«, fuhr Melchior ihn an.
Erschrocken flatterte Furax auf den Boden und hopste empört zeternd in den Garten beim Haus des Abtes.
»Donnerkraut?«, fragte Paul leise. »Was soll das denn sein?«
»Misteln heißen bei uns so«, flüsterte Jakob, ohne Melchior aus den Augen zu lassen. »Mutter hängt sie überall im Haus auf.
Donnerkraut schützt vor Feuer und Blitz, sagt sie. Und vor bösen Geistern«, fügte er schaudernd hinzu.
»Aber warum verbrennt er es?«, fragte Paul.
»Keine Ahnung. Da! Er verschwindet in der Kirche.«
Sie warteten noch eine Weile, aber Melchior kam nicht wieder heraus. Plötzlich schnüffelte Jakob in die Luft. »Riechst du
das auch? Bah! Das stinkt nach faulen Eiern!«
Paul nickte. »Ja, das ist Schwefel«, sagte er. »Unsere Magd bleicht Kerzenwachs damit. Es stinkt fürchterlich, aber die Kerzen
werden so weiß wie …«
»Der Teufelsgestank!«, unterbrach Jakob ihn aufgeregt. »Hildeberts Teufelsgestank! Was immer Melchior da tut, er muss es schon
eine Weile machen. Hildebert hat es ja schon öfter gerochen.«
Entsetzt schauten die Jungen sich an.
»›Blau, nicht golden‹, hat er gesagt«, wisperte Paul.
»Er macht Gold!«, hauchte Jakob.
»Dann ist er ein Alchemist?« Paul wagte kaum, das Wort auszusprechen. Er schüttelte sich. »Wie unheimlich!«
Beide Jungen hatten schon von den im Geheimen forschenden Meistern gehört, die versuchten, den Stein der Weisen zu finden.
Damit sollte man ein Allheilmittel herstellen können, das alle Krankheiten der Menschen besiegte. Und mit ihm sollte es möglich
sein, jedes Metall in Gold zu verwandeln.
Jakob erholte sich als Erster von seinem Schrecken.
»Er ist auf alle Fälle verdächtig«, stellte er fest. »Viel leicht hat er das Buch mit dem Karfunkelstein gestohlen! Weil da was drinsteht, das er brauchen kann … Und er weiß bestimmt, wo Gregor den Schlüssel hinlegt.«
»Aber er ist der Cellerar des Klosters!«, wandte Paul ein. »Er muss doch das Buch nicht stehlen. Gregor würde es ihn doch
lesen lassen!«
»Wahrscheinlich reicht ihm das nicht. Vielleicht braucht er es in der Apotheke, für was auch immer er
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