Das Buch mit dem Karfunkelstein
arbeiten. Da war es wenigstens trocken und er würde
bei seiner Arbeit in Ruhe über alles nachdenken können.
Wer von den Mönchen konnte das Buch gestohlenhaben? Es musste einer von ihnen gewesen sein, das stand für ihn fest. Sie waren seltsam. Am meisten beunruhigte ihn ihr Schweigen.
Als würden sie sich dahinter verstecken.
Das machte es furchtbar schwierig, die richtigen Schlüsse aus ihrem Verhalten zu ziehen. Besonders die seltsamen Zeichen,
die die Mönche sich gaben, verunsicherten Paul zutiefst.
Plötzlich blieb er wie angewurzelt stehen. An der nächsten Biegung des Kreuzgangs standen Melchior und Gisbert, der wieder
ein verschlossenes Gesicht machte. Ausgerechnet diese beiden! Sie schienen auf jemanden zu warten. Etwa auf ihn? Er hielt
verzweifelt nach Gregor Ausschau, aber der war nicht mehr zu sehen. So gut es ging, versteckte er sich hinter dem breiten
Rücken eines dicken Mönchs. Aber es half nichts. Gerade als er um die Biegung und weiter zur Kirchenpforte huschen wollte,
hatte Melchior ihn doch entdeckt.
»Paul! Komm her!«
Was wollten sie von ihm? Er dachte schaudernd an ihre geheimnisvollen Zeichen und ging zögernd auf sie zu. Aus dem Augenwinkel
sah er gerade noch Bruder Lambert eilig hinter einer Säule verschwinden. Um sie zu belauschen?
»Ja, Bruder Melchior?«, fragte Paul so höflich wie möglich. Er wollte sich seine Furcht nicht anmerken lassen.
»Hol deinen Umhang und begleite Bruder Gisbert!«, befahl Melchior. »Ein kleiner Spaziergang durch denWald wird dich vielleicht wieder auf den rechten Weg bringen.«
Paul lief ein eisiger Schauer über den Rücken. Durch den Wald? Was hatten sie mit ihm vor?
»Gisbert wird die neuen Weingläser für den Abt abholen«, fuhr Melchior ungerührt fort. »In der Klosterglashütte weiß man Bescheid.«
Gisbert nickte bestätigend.
»Außerdem wird der Hüttenmeister euch ein Päckchen Felsensalz mitgeben.« Melchior blickte Paul streng an. »Du wirst dafür
sorgen, dass es unter keinen Umständen nass wird!«
Paul nickte, obwohl er keine Ahnung hatte, worum es ging.
»Aber Bruder Gregor …«, fing er zaghaft an.
»Der Bibliothekar weiß, dass du erst später ins Skriptorium kommen wirst. Und nun beeilt euch, damit ihr vor Einbruch der
Dunkelheit wieder zurück seid.«
Damit drehte Melchior sich um und verschwand in der Kirche. Nicht lange danach eilte Lambert mit wehender Kutte und einem
boshaften Lächeln um die Lippen hinter ihm her.
Kurze Zeit später verließ Paul mit Gisbert das Kloster durch das große Erntetor. Im Sommer waren hier die Fuhrwerke durchgefahren,
hoch beladen mit Getreide und anderen Früchten von den Klosterfeldern, und hatten ihre Last zu den Scheunen gebracht. Melchior
hatte die Laienbrüder, die den Mönchen viele der schweren Arbeiten abnahmen, hin und her gescheucht und sichselbst keine Pause gegönnt, bis die Ernte eingefahren war. Ein Regenguss konnte alles ruinieren und die vielen Menschen, die
das Kloster ernährte, hätten im Winter Not gelitten.
Jetzt, im strömenden Regen, lag das Tor verlassen da. Paul trottete missmutig neben Bruder Gisbert über den aufgeweichten
Weg. In kürzester Zeit sammelten sich dicke Schlammkrusten um seine Füße und sein Wollumhang sog sich voll Wasser. Zu Hause
hätten sie bei so einem Wetter noch nicht einmal einen Hund vor die Tür gejagt! Melchior hatte sich wirklich etwas Feines
für ihn ausgedacht. Und was hatte Gisbert wohl verbrochen, dass er ausgerechnet heute Gläser für den Abt aus dem Wald holen
musste?
Verstohlen blickte Paul zu Gisbert auf. Dessen Gesicht unter der Kapuze verriet nichts. Er lief zielstrebig an den Feldern
des Klosters vorbei. Schweigend hatte er seine Augen auf den Weg gesenkt, nur eine steile Falte zwischen seinen Augenbrauen
verriet … was? Paul war nicht sicher. War er zornig über Melchiors Auftrag oder den schlammigen Weg? Oder überlegte er sich vielleicht
sogar, wie er Paul unauffällig aus dem Weg schaffen konnte? Im Refektorium hatte es doch so ausgesehen! Was hatte die steile
Falte nur zu bedeuten? Paul lag die Angst wie ein Stein im Magen. Wie ihr Schweigen waren auch die Gesichter der Mönche schwer
zu verstehen. Paul konnte nicht in ihnen lesen, dazu kannte er sie noch nicht gut genug.
Schon bald erreichten sie den Wald. Dort war es zwardunkler, aber die Bäume hielten viel vom Regen und Wind ab. Der Pfad war nicht so aufgeweicht und unter den Nadelbäumen war
der
Weitere Kostenlose Bücher