Das Buch mit dem Karfunkelstein
Boden sogar fast trocken. Gisbert ging mit raschen Schritten weiter, aber Paul wurde es immer unheimlicher zumute. Er
hatte nur in der Stadt gelebt und kannte die Geräusche des Waldes nicht. Ein plötzlicher Schrei eines Vogels. Rascheln im
Laub. Ein Zweig knackte. Folgte ihnen jemand? Oder war es nur ein Tier? Paul wandte sich um, konnte aber nichts entdecken.
Er hätte gerne gewusst, wie weit es noch war. Aber er wagte nicht, den beharrlich schweigenden Gisbert danach zu fragen. Doch
der schien zu ahnen, was Paul wissen wollte. Er zog eine Hand aus dem Ärmel seiner Kutte und zeigte auf die Bäume, die in
einiger Entfernung nicht mehr so dicht zusammenstanden. Dahinter war es heller.
Als sie näher kamen, riss Paul überrascht die Augen auf. Auf einer Lichtung mitten im Wald stand eine Ansammlung von Holzhütten
um einen sehr großen runden Ofen. Er war überdacht, sodass trotz des Regens mehrere einfach gekleidete Männer und Frauen an
flackernden Feuern arbeiten konnten.
Einer von ihnen blickte zu Gisbert und Paul hinüber, als sie auf die Lichtung traten, und kam ihnen entgegen.
»Ah, Bruder Gisbert!«, lachte er. »Ich hätte nicht gedacht, dass Ihr bei diesem Wetter tatsächlich kommt!« Während er mit
ihnen rasch unter einen schützenden Baum trat, blickte er fragend auf Paul. »Und wer ist das?«
»Einer unserer neuen Oblaten. Er heißt Paul«, antwortete Gisbert überraschend freundlich und wandte sichan den Jungen. »Paul, das ist der Hüttenmeister des Klosters, Meister Steffen.«
Hastig begrüßte Paul den Hüttenmeister, obwohl es ihm fast die Sprache verschlug. Was war in Gisbert gefahren? So viel Höflichkeit
hatte er von ihm nicht erwartet! Aber der Mönch achtete gar nicht mehr auf ihn.
»Wie geht es Eurem Sohn nach meinem letzten Besuch vor ein paar Wochen?«, fragte er besorgt.
»Nicklas? Dem geht es prächtig! Er hat kein Fieber mehr und springt herum wie ein Rehkitz.« Der Hüttenmeister wandte sich
zu einer der Hütten. »Nicklas!«, brüllte er, um den Wind zu übertönen. »Nicklas, wir haben Besuch!«
Die Tür öffnete sich und ein kleiner Junge, vielleicht fünf Jahre alt, sprang heraus, erkannte Bruder Gisbert und rannte freudestrahlend
auf ihn zu.
»Ich brauche deine Medizin nicht mehr!«, rief er. »Sieh mal!«
Er hob seinen Kittel an und schob einen Beinling herunter. Paul stockte der Atem. Eine breite, rote Narbe zog sich über den
ganzen Oberschenkel bis zum Knie.
Gisbert hatte sich hingehockt und begutachtete die Narbe mit sanften Bewegungen.
»Wunderbar verheilt!«, sagte er schließlich zufrieden. »Du hast Glück gehabt! Deine Verbrennung hätte dich töten können!«
»Ha!«, lachte der Hüttenmeister. »Wir haben Glück gehabt, dass
Ihr
gerade bei uns wart, als er dem geschmolzenen Glas zu nahe kam. So herum ist es richtig!«
Er strubbelte seinem Sohn über die Haare und blickte Gisbert dankbar an.
Paul beobachtete sie ungläubig. Hatte er sich in Gisbert so getäuscht? War das der Grund dafür, warum der ohne Murren bei
dem Wetter in den Wald gegangen war? Und vielleicht hatte er die steile Falte auf der Stirn aus Sorge um den kleinen Jungen
gehabt! Gisbert war Arzt. Und er war ein Mönch. Ohne Erlaubnis durfte er das Kloster nicht verlassen. Schon gar nicht jeden
Tag, selbst wenn es um einen kleinen Jungen mit einer Verbrennung am Bein ging.
Gisbert stand auf und wandte sich um. Paul hatte erwartet, dass er jetzt froh aussähe oder lächeln würde. Aber er warf Paul
nur einen gequälten Blick zu und sagte tonlos: »Komm!«
Paul überfiel plötzlich wieder die gleiche Furcht wie im Speisesaal der Mönche, aber er musste gehorchen.
Meister Steffen hatte nichts von allem bemerkt. Er schickte Nicklas wieder in die warme Hütte zurück und winkte Gisbert und
Paul zu einer zweiten Hütte, deren Tür offen stand. Es war eine Werkstatt. Glaswaren lagen bereits fertig auf den Regalen.
Zum größten Teil waren es runde Glasplatten in den verschiedensten Farben – Königsblau, Rubinrot, Grasgrün, Goldgelb. Am Tisch in der Mitte des Raumes saß ein Mann und schnitt daraus flache, bunte
Glasstücke zurecht, bis sie in eine Schablone passten. Neugierig trat Paul näher.
»Sie sind für ein Fenster in der Klosterkirche«, erklärte Meister Steffen. »Wir nennen es das Weihnachtsfenster,denn diese bunten Glasstücke werden einmal Maria, das Kind in der Krippe und die Heiligen Drei Könige darstellen. Die Stücke
müssen noch mit
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