Das Buch mit dem Karfunkelstein
beschweren, Ehrwürdiger Vater«, hörten sie den Subprior
aufgeregt sagen. Sie sahen nur einen Teil seines Rückens, aber offenbar stand ervor dem Tisch des Abtes. »Es geht nicht, dass sich einer der Mitbrüder in diesem Kloster der gottlosen Alchemie hingibt. Das
kann ich nicht billigen! Das ist …«
»Superbia!«,
unterbrach Abt Urban den Subprior.
»Wie?«, fragte Lambert verdutzt.
»Nun, du verstehst mich. Ich spreche von Hochmut. Das ist eine Todsünde, wie du weißt. Du überschätzt dich! Dir steht es nicht
zu, etwas zu billigen oder nicht, Bruder«, sagte Urban mit deutlich schärferer Stimme. »Das ist allein meine Aufgabe. Und
ich
billige nicht, dass in diesem Kloster Todsünden begangen werden, und das auch noch hier in meinem Haus und vor meinen Ohren!
Der Cellerar tut selbstverständlich nur, was ich ihm aufgetragen habe. Und wir werden dich beide nicht nach deiner Meinung
fragen. Als Buße wirst du dich darin üben, deine unerträgliche Neugier zu bezähmen. Du kannst gehen.«
Beim letzten Satz kam plötzlich Bewegung in Bruder Anselm. Er sprang vor und klopfte an die Wand neben dem Durchgang.
»Ist es erlaubt?«, fragte er höflich.
»Bruder Anselm!«, rief der Abt. »Ja, bitte, tritt ein. Wir sind hier fertig.«
Anselm zog die Kinder hinter sich her und versperrte damit Lambert, der mit hochrotem Gesicht gehen wollte, den Weg.
»Ehrwürdiger Vater«, begann Anselm, »für das, was wir vorbringen wollen, brauchen wir Bruder Lambert. Gestattet ihm, hierzubleiben.«
Lambert blickte hastig um sich und suchte nach einem Ausweg, aber an Anselm und den Kindern kam er nicht vorbei.
Für einen Augenblick war der Abt zu verblüfft über den Anblick der Kinder, um überhaupt zu antworten. Doch dann nickte er
mit dem Kopf.
»Gut, wenn du es für wichtig hältst, soll es geschehen.« Er winkte Lambert zurück an seinen Tisch. »Wo rum geht es? Um das Buch mit dem Karfunkelstein?«
»Eigentlich geht es nur noch um den Karfunkelstein«, antwortete Anselm und machte Paul ein Zeichen.
Paul trat vor den Tisch des Abtes und legte das Buch darauf.
Die Augen des Subpriors wurden immer größer, als er das Buch sah. Verwirrt starrte er Paul an.
Auch der Abt betrachtete das Buch überrascht.
»Du bereust also deine Tat und bringst das Buch zurück?«, fragte er Paul, der nur wagte, den Kopf zu schütteln. »Und wo ist
der Stein?«
»Diese Frage haben wir uns auch gestellt«, antwortete Anselm für Paul. »Und wir glauben, die Antwort gefunden zu haben.«
»Natürlich«, mischte sich Lambert hastig ein. »Der Oblate Paul hat das Buch wieder zurückgelegt, aber den Stein behalten.«
Wie im Kapitelsaal traf ihn ein strenger Blick des Abtes und er senkte den Kopf.
»Und welche Antwort hast du gefunden?«, fragte Urban.
»Nicht ich habe die Antwort gefunden, Ehrwürdiger Vater«, sagte Anselm, »sondern Paul mit der Hilfe seiner Freunde.«
Der Abt sah die Kinder an, die eingeschüchtert vor ihm standen.
»Nun?«
Anselm trat zurück in den Durchgang und ließ die Kinder allein berichten. Abwechselnd erzählten sie nun alles, was sie herausgefunden
hatten. Selbst Paul sprach immer mutiger, als er merkte, dass Urban ihnen erst aufmerksam und dann empört über den unverfrorenen
Diebstahl zuhörte. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Lamberts Gesicht immer bleicher wurde.
»Wir haben uns auch gefragt«, sagte er schließlich, »warum der Subprior selbst nicht bei der Vesper war und mich deshalb vor
dem Skriptorium entdecken konnte.«
Der Abt blickte Lambert fragend an.
»Ich …«, sagte der zögernd. »Ich …«
Plötzlich griff er mit einer schnellen Bewegung in den Beutel an seinem Gürtel, kniff die Augen kurz zusammen und lief zum
Durchgang. Doch Anselm hatte sich nicht zufällig dort hingestellt. Er hatte damit gerechnet, dass Lambert versuchen würde
zu entkommen, breitete die Arme aus und fing ihn ein. Lambert wehrte sich heftig. Er wollte sich losreißen, aber Anselm war
stärker als er und führte ihn zurück zum Tisch des Abtes.
Der saß mit versteinerter Miene da. »Wohin wolltest du hier im Kloster fliehen?«, fragte er den Subprior.
Lambert sackte in sich zusammen, als er endlich erkannte, dass es keinen Ausweg für ihn gab. Anselm nahm ihm etwas aus der
Hand und zeigte es den anderen.
Dunkelrot lag der Karfunkelstein da und schien aus seinem Innern zu leuchten. Er war so schön, dass Paul sich fragte, wie
er den roten Glasklumpen jemals für den
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