Das Buch Ohne Gnade: Roman
geschah so plötzlich, dass sein Arm nach hinten schoss und er die Chinesin mit dem Ellbogen im Gesicht traf und sie von ihrem Hocker stieß, sodass sie rücklings auf dem Fußboden landete. Scheiße! , dachte Sanchez. Trotzdem, er hatte jetzt keine Zeit, sich zu entschuldigen. Sie würde sich schon irgendwie von dem Sturz erholen.
Seine augenblickliche Verlegenheit überspielend, öffnete er den Umschlag und holte den dicken Stapel Geldscheine heraus und warf ihn lässig vor dem Croupier auf den Tisch. Dessen Miene veränderte sich nicht. Er war ein kahlköpfiger, braunhäutiger junger Mann Ende zwanzig und hatte ein beeindruckendes Pokergesicht, das absolutes DesInteresse zeigte, wenn hohe Geldbeträge über den Tisch wanderten.
Die zierliche Chinesin kletterte zurück auf ihren Hocker, murmelte dabei wütend vor sich hin und schien bereit zu sein, Sanchez mit einem Karateschlag niederzustrecken. Aber als sie das Geldbündel entdeckte, schien sie es sich anders zu überlegen und brachte sogar ein mattes Lächeln für dessen Besitzer Zustande. Jeder liebte einen Mann, der Geld hatte. Und dieser Mann war diesmal Sanchez. Sanchez, der ebenfalls lächelte, rief dem Croupier zu: »Chips bitte, verehrter Sir.«
Der Croupier nahm Sanchez’ Geld, zählte es routiniert und ersetzte es durch einen Stapel roter, gelber und blauer Chips im gleichen Wert. Sanchez konnte spüren, dass seine Mitspielerinnen von seinem offensichtlichen Reichtum leicht beeindruckt waren.
Annabel bestätigte es. »Hey, Sanchez, Ihre Bar muss ja ganz gut laufen.«
»Klar. Ich bin nun mal ein cleverer Geschäftsmann«, prahlte er.
»Schätze, wir sollten uns geschäftlich zusammentun«, schlug Annabel vor. »Mit Ihrem Geschäftssinn und meinen seherischen Fähigkeiten könnten wir ein Vermögen scheffeln.«
»Aber immer. Fangen wir doch gleich damit an. Sie sagen mir Rot oder Schwarz und ich setze das Geld.«
»Oh, diesmal wird es bestimmt Rot sein.«
»Sind Sie sicher?«
»Absolut.«
Sie klang unglaublich souverän. Und was Sanchez erst recht überzeugte, war, dass sie selbst ebenfalls einen Chip auf Rot setzte.
»Machen Sie Ihre Einsätze«, verlangte der Croupier. Obgleich seine Aufforderung an alle Spieler am Tisch gerichtet war, schaute er Sanchez direkt an, als bezweifelte er, dass Sanchez den Mut hatte, mehr als nur einen Chip bei seinem ersten Spiel zu riskieren.
Sanchez wog seine Möglichkeiten ab. Er musste sich schnell entscheiden. Ach, zum Teufel! Das Geld war ihm einfach so in den Schoß gefallen , entschied er.
Und setzte seine sämtlichen Chips auf Rot.
ELF ♦
In der Zeit, die verstrichen war, seit der Bourbon Kid den ehemaligen Bankier Jonah Clementine ins Gesicht geschlagen und auf der Stelle getötet hatte, waren keine neuen Gäste in die Bar gekommen. Das langbeinige blonde Model, das bis eben noch an Mr. Clementines Arm gehangen hatte, war praktisch sofort hinausgegangen, wahrscheinlich ins Kasino, um sich einen wohlhabenden Ersatz zu suchen, bevor sie ihr alle von den anderen Goldgräberinnen weggeschnappt wurden. Langsam und unauffällig waren ihr die anderen Barbesucher nach draußen gefolgt. Keiner von ihnen war eilig aufgesprungen, um das Feld zu räumen, sondern sie hatten in Ruhe ihre Gläser geleert und ihre Gespräche beendet und sich nach und nach aus der Bar gestohlen.
Valerie, die Bardame, hatte niemanden mehr, den sie hätte bedienen können, und war damit beschäftigt, so weit wie möglich vom Kid entfernt die Theke abzuwischen. Alle anderen Angestellten hatten sich näher am Ausgang hinter der Theke aufgehalten und waren hinausgerannt, ehe Valerie dazu Gelegenheit gehabt hatte. Da im Hotel die Regel galt, dass stets mindestens ein Angestellter hinter der Theke seinen Dienst versehen musste, saß sie dort fest, ehe einer der anderen so viel Mumm zusammenraffte, um zurückzukehren. Was sicherlich so bald nicht geschehen würde.
Während der ersten zwanzig Minuten nach dem tödlichen Zwischenfall waren zwei Angehörige des Sicherheitsdienstes die Einzigen, die die Bar betraten. Gunther hatte sie holen lassen,nachdem der Kid ihm angekündigt hatte, dass in Kürze eine Leiche entsorgt werden müsse. Die beiden Männer waren leise hereingekommen und hatten Clementines leblosen Körper vom Holzfußboden aufgehoben, auf dem sich eine Pfütze seines Blutes gesammelt hatte. Sie schleppten ihn hinter die Theke, woraufhin Valerie einen Wutanfall bekam.
»Ihr könnt ihn nicht hierhin legen!«, schimpfte sie.
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