Das Buch Ohne Gnade: Roman
beidem der Fall war. Cleveland war einfach nur ein Trottel. Diese Einschätzung erhielt ihreBestätigung durch die Art und Weise, wie der Wachmann mit leerem Blick und halb geöffnetem Mund die Wand gegenüber anstarrte.
»Okay«, sagte Powell und seine Stimme klang allmählich ungehalten. »Was ist mit Sandy? Kann er mir verraten, wer diese Typen waren und was sie mit Cash und Cobain gemacht haben?«
»Ich kann nicht für Sandy sprechen, Sir.«
»Cleveland.«
»Ja, Sir.«
»Sie sind ein Idiot.«
»Ja, Sir.«
»Und ich nehme Ihnen das Eis ab.« Er angelte das Eishörnchen aus Clevelands Hand, leckte vor den Augen des enttäuschten Wachmanns daran und schnappte dann: »Okay. Und jetzt machen Sie verdammt noch mal Platz.«
»Ja, Sir.«
Der stämmige Wachmann trat zur Seite und stieß die Tür auf, damit sein Boss hindurchgehen konnte. Zu Powells Freude war die Herrentoilette praktisch fleckenlos. Das war im Wesentlichen Sandy zu verdanken, einem brutal aussehenden Burschen mit kurz geschnittenem dunklem Haar. Er hatte einen Wischmopp in der Hand und soeben die letzten Blutreste vom Fußboden entfernt. Er sah Powell eintreten und nickte.
»Hi, Boss«, sagte er.
»Guten Abend, Sandy«, erwiderte der Hotelbesitzer und sah sich um. Er konnte nirgendwo eine Blutspur entdecken. »Sieht so aus, als hätten Sie gute Arbeit geleistet.«
»Danke.«
»Ich habe Ihnen etwas mitgebracht.« Er hielt ihm das Eishörnchen hin, das Sandy zögernd mit der freien Hand ergriff.
»Das sieht aus, als sei es Clevelands Eis«, sagte er.
»Nein, das ist es nicht.«
»Okay. Danke.«
»Dann erzählen Sie doch mal, was hier passiert ist. Sie haben sich mit Tommy über Funk unterhalten, und dann wurde die Verbindung unterbrochen. Ich habe mir Sorgen gemacht.«
»Jemand hat mir und Tyrone aufgelauert. Alles passierte ziemlich schnell. Wir kamen rein, sahen die Toten in den Kabinen und haben Tommy gerufen. Dann tauchte plötzlich wie aus dem Nichts jemand auf. Ich weiß wirklich nicht, was dann geschah.«
»Wie geht es Ihrem Kopf?«
»Ein wenig besser.«
»Hat Tommy etwas darüber verlauten lassen, wer die Typen waren, die Ihnen aufgelauert haben?«
Sandy leckte an der Eiscreme. »Nein, ich war noch weggetreten, als sie die beiden wegbrachten.«
»Hm, hm. Was ist mit Tyrone?«
»Er ist zusammen mit Tommy in die Wüste gefahren. Zumindest hat Cleveland das gesagt.«
»Na ja, schön … Cleveland glaubt, dass Johnny Cash an Altersschwäche gestorben ist. Was denken Sie?«
Sandy leckte abermals an der Eiscreme. Sie schien ihm zu schmecken. »Ich? Ich denke, jemand hat Johnny Cash die eigene Nase ins Gehirn gerammt, Boss. Soweit ich weiß, geschieht so etwas nicht aus Altersschwäche.«
»Das denke ich auch. Was ist mit Cobain?«
»Nun, daran waren Drogen beteiligt.«
»W ie bitte? «
»Da war überall Kokain und ihm lief Blut aus dem Mund, aus der Nase, aus den Ohren – Sie können es sich aussuchen.«
Powell ging an Sandy vorbei und blickte durch die offenen Türen der Toilettenkabinen auf der Suche nach Spuren der Gewaltorgie. Alle Kabinen waren leer und makellos sauber. Sandy hatte wirklich ganze Arbeit geleistet.
Als er zur letzten Kabine gelangte, schaute Powell zum Spiegel über dem nächsten Waschbecken an der hinteren Wand. Er sah sein eigenes Spiegelbild. Dahinter konnte er Sandy mit seinemWischmopp sehen, wie er auf den Fliesen vor der ersten Kabine herumwischte. Dann gewahrte er plötzlich eine andere Gestalt.
Hinter Sandy stand ein hochgewachsener schwarzer Mann in einem roten Anzug, mit einem roten Hut und spitzen roten Schuhen und grinste ihn an. Powells Herzschlag geriet ins Stolpern. Er wirbelte herum.
»Sandy«, sagte er mit angespannter Stimme. »Sie haben einen guten Job gemacht. Vielen Dank. Sie können jetzt gehen.«
»Ich bin noch nicht ganz fertig, Boss.«
»Das macht nichts. Gehen Sie ruhig. Lassen Sie den Mopp und den Eimer hier. Ich räume schon auf.«
»Wirklich? Sind Sie sicher?«
»Nehmen Sie Ihr verdammtes Eis und verschwinden Sie endlich!«
Erschrocken über den wütenden Ausdruck in der Stimme seines Chefs lehnte Sandy den Wischmopp neben der Tür an die Wand und ging hinaus. Dabei leckte er genüsslich an seinem Eis.
Powell wandte sich zum Spiegel um. Abermals sah er den schwarzen Mann im roten Anzug und mit dem roten Hut. Der Mann ging auf ihn zu.
»Hast du dieses Jahr Probleme, Nigel?«, fragte er. Seine Stimme klang dunkel und raumfüllend und triefte vor ironischer
Weitere Kostenlose Bücher