Das Buch ohne Namen - Anonymus: Buch ohne Namen - The Book With No Name
Gerüchte waren offensichtlich nichts weiter als Wunschdenken. Denn am Tresen der Nightjar Bar saß niemand anderes als Bourbon Kid höchstpersönlich. Daran bestand nicht der geringste Zweifel.
»Die Bedienung ist verdammt lahm heute Abend!«, sagte Bourbon Kid und schlug seine Kapuze zurück, sodass Berkley sein Gesicht sah.
Er hatte sich nicht sehr verändert, seit Berkley ihn das letzte Mal gesehen hatte. Sein Haar war ein wenig dunkler und sein Gesicht ein wenig ledriger – vielleicht verbrachte er viel Zeit in der Sonne. Doch es war ganz eindeutig Bourbon Kid, und das, so schloss Berkley, war kein gutes Zeichen.
Es gab einen verlegenen Moment, während Berkley überlegte, wie er auf die Bemerkung des Bourbon Kid bezüglich der Geschwindigkeit der Bedienung reagieren sollte. Fast hielt er es für angebracht, sich bei dem anderen dafür zu bedanken, dass er ihn vor fünf Jahren nicht getötet hatte, doch auf der anderen Seite setzte er ihm damit wahrscheinlich höchstens dumme Gedanken in den unberechenbaren Schädel.
Berkley überflog die Zerstörungen im Lokal hinter Bourbon Kid. Tische und Stühle waren zerbrochen und lagen kreuz und quer herum. Immer noch war überall Blut. Eine gottverdammte Sauerei zum Putzen und Aufräumen morgen früh , dachte Berkley. Falls er das Glück hatte, bis morgen früh zu überleben, hieß das, angesichts der Tatsache, dass der größte Serienkiller in der Geschichte der Gegend vor ihm am Tresen saß. Es war nicht klug, diesen Burschen warten zu lassen.
»Oh, ja. Verzeihung, Sir. Was darf es denn sein? Sämtliche Drinks gehen heute Abend aufs Haus«, sagte Berkley.
»Das klingt doch prima. Und weil das so ist, nehme ich einen Bourbon. Achte darauf, dass das Glas richtig voll wird.«
O Scheiße! Damit hat es beim letzten Mal auch angefangen!
Berkley dachte an den letzten Auftritt des Bourbon Kid in seiner Bar vor fünf Jahren. Er hatte ihm damals ein Glas Bourbon serviert, ohne groß darüber nachzudenken. Woher hätte er denn wissen sollen, dass der Kerl ein Problem mit dem Zeug hatte?
Noch in der Sekunde, als er den Bourbon heruntergekippt hatte, war er zum Berserker geworden und hatte jeden umgebracht – mit Ausnahme von Berkley, der ihm noch eine ganze Stunde lang Drinks hatte servieren müssen. Selbst als Busladungen voll bewaffneter Polizisten aufgetaucht waren, war Bourbon Kid eiskalt geblieben. Er hatte sein Trinkgelage kurz unterbrochen, um sich mit ihnen zu befassen – so lange, bis sich keine Cops mehr gefunden hatten, die genügend Mumm besaßen, um die Nightjar Bar zu betreten. Berkley hatte einen Großteil der Zeit geduckt hinter seinem Tresen gekauert, um nicht von Querschlägern getroffen zu werden, und war nur gelegentlich kurz aufgetaucht, um das Glas des Bourbon Kid nachzufüllen.
Was auch immer fünf Jahre zuvor geschehen war, Berkley hatte nicht den Nerv, Bourbon Kid warten zu lassen, also schenkte er ihm ein Glas von seinem besten Bourbon ein, auf Eis.
»Und?«, fragte er. »Was haben Sie so gemacht?« Vielleicht konnte er die Geschichte damit eine Weile hinauszögern.
Der einzige Gast der Nightjar Bar nahm sein Glas und starrte mit einem langen, harten Blick den Inhalt an. Es war der beste Bourbon des Hauses, und für einen Mann, der das Zeug so zu schätzen wusste wie Bourbon Kid, musste das Getränk aussehen wie flüssiges Gold.
»Ich war trocken«, sagte er.
»Schön für Sie. Wie lange denn?«
»Fünf Jahre.«
Gütiger Herr im Himmel! , dachte Berkley. Dieser Kerl konnte schon beim letzten Mal, als er hier war, nichts vertragen. Wenn er seit fünf Jahren keinen Tropfen getrunken hat, steigt ihm das Zeug geradewegs in den Kopf. Ich sollte vielleicht versuchen, es ihm auszureden .
»Wow«, sagte er nervös. »Fünf Jahre … wenn ich so lange keinen Drink gehabt hätte, würde ich bestimmt nicht wieder damit anfangen wollen. Niemals. Ich würde keinen Tropfen mehr anrühren. Sind Sie sicher, dass Sie diesen Bourbon wirklich wollen? Vielleicht sollten Sie lieber mit etwas weniger Hartem anfangen, wissen Sie? Was halten Sie beispielsweise von … einem Glas Limonade?«
Bourbon Kid nahm den Blick von seinem Glas und starrte den Barmann an. Er zeigte einen gewissen ärgerlichen Ausdruck, wie der Barmann mehr als nur ein wenig besorgt zur Kenntnis nahm.
»Hör zu, Freundchen«, sagte Bourbon Kid mit rauer Stimme. »Ich bin hierhergekommen, weil ich in aller Ruhe einen Drink nehmen will. Ich hab keine Lust auf dumme Plaudereien, die
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