Das Buch Rubyn
unter ihren Füßen erzitterte. Unwillkürlich klammerten sich Michael und Emma aneinander, und Gabriel, der die Arbeit am Haupttor beaufsichtigt hatte, eilte zu ihnen.
»Ist das …«, stammelte Michael, »… ist das Rourke?«
»Nein«, sagte Gabriel. »Das ist etwas anderes.«
Sie drehten sich um. Aus dem Krater des Vulkans erhob sich eine schwarze Rauchwolke.
»Das ist nicht gut, oder?«, sagte Emma.
»Glaubst du, es liegt daran, dass wir die Chronik aus der Lava geholt haben?«, fragte Michael. »Was, wenn sie den Vulkan ruhig gehalten hat?«
»Falls es so ist, können wir es jetzt nicht mehr ändern«, antwortete Gabriel. »Kommt mit.«
Er ging voraus zu einer Leiter, und die Kinder und Wilamena kletterten hinter ihm auf den Wehrgang, wo Hauptmann Anton stand und den Waldrand beobachtete.
»Sie sammeln sich hinter der Baumlinie«, sagte er.
Michael bewunderte den scharfen Blick des Elfenhauptmanns. Er konnte am Waldrand nur dunkle Schemen erkennen.
Gabriel sagte: »Jetzt dauert es nicht mehr lang.«
Der Gesang verstummte. Die Elfen nahmen ihre Kampfpositionen ein. Bald darauf war alles ruhig, bis auf das stetige Hämmern in der Schmiede. Michael blickte sich um. Rechts und links von ihm hatten die Elfen entlang der Wehrmauer Aufstellung genommen. Sie alle schauten ruhig und gelassen in Richtung Wald, die Bögen in den Händen, die vollen Köcher auf dem Rücken. Michael kam sich plötzlich klein und gemein vor, weil er immer nur schlecht über die Elfen gedacht und gesprochen hatte. Es stimmte, sie waren eitel, kindisch und verbrachten viel Zeit mit Äußerlichkeiten, aber Michael war sich darüber im Klaren, dass jeder einzelne Elf in dieser Festung für ihn und seine Schwester sterben würde. Und bevor der Tag zu Ende war, würden einige von ihnen vielleicht tatsächlich ihr Leben gelassen haben.
»Da«, sagte Anton.
Michael blickte wieder zum Waldrand und sah, was sich dort bewegte.
Er versuchte zu schlucken, aber es war, als wäre seine Kehle voller Sägemehl.
»Das sind ziemlich viele, oder?«, ließ sich Emma vernehmen.
»Ja«, krächzte Michael, »ziemlich … viele.«
Rourkes Armee ergoss sich wie eine schwarze Flut aus dem Wald. Sie war schier endlos. Es kamen immer mehr Kreaturen. Michael versuchte, sie zu zählen, aber es waren einfach zu viele, und immer noch strömten neue Kreischer und Gnome auf den Vulkan zu. Es dauerte nicht lange und die ganze Ebene vom Fuß des Vulkans bis zum Wald war ein einziges Gewimmel aus mörderischen Monstern.
Das war’s, dachte Michael. Wir sind erledigt.
Laut sagte er: »Wir … schaffen das.«
Und als Michael schon dachte, die Armee des Feindes würde überhaupt kein Ende nehmen, dass immer noch Kreischer und Gnome nachrücken würden, wenn die vorderste Linie der Armee längst die Festungsmauer erreicht hätte, da tauchte endlich Rourkes Nachhut zwischen den Bäumen auf.
»Trolle.« Der Elfenhauptmann spie das Wort förmlich aus.
Drei riesige, grauhäutige Kreaturen stapften ungelenk auf die Ebene und fielen in einen schaukelnden Trott, wobei sie Knüppel schwangen, die so lang waren wie Baumstämme.
»Na großartig«, sagte Emma, »als ob es nicht ohnehin schon schlimm genug wäre.«
Als die Ersten über die Felsen am Fuß des Vulkans kletterten, setzte das Kreischen aus den Kehlen Hunderter Morum Cadi ein. Die Schreie erhoben sich in einem entsetzlichen Chor, hallten von den Felswänden wider und wurden von dort zu den Verteidigern der Festung zurückgeworfen. Die Luft erzitterte; es wurde dunkel und Michael hatte ein Gefühl, als würden ihm Herz und Lunge zerquetscht.
Da hörte er Emma flüstern: »Es ist nicht wirklich … Es kann mir nichts tun … Es ist nicht wirklich …« Er fiel in ihre Beschwörung mit ein. Der Schmerz verging und er konnte wieder atmen.
Neben ihnen blitzte etwas auf. Gabriel hatte seine Machete gezogen und machte sich für den Kampf bereit. Der Elfenhauptmann gab einen Befehl und die Elfen entlang der Wehrmauer legten Pfeile an ihre Sehnen.
Die schwarze Horde schob sich den Hang hinauf. Sie waren mittlerweile so nah, dass Michael die gezackten Schwerter der Kreischer sehen konnte und das gelbe Glühen in ihren Augen.
»Ihr beide«, setzte Gabriel an, »geht …«
Aber bevor er sie wegschicken konnte, blieb die ganze Armee etwa fünfzig Meter von der Festung entfernt stehen. Das Kreischen ging weiter. Michaels Blick wanderte über die zerfetzten Uniformen der Morum Cadi, ihre verfaulenden grünen Körper,
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