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Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman

Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman

Titel: Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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als wollte er die Albträume abschütteln, die ihn im Fieberwahn verfolgten. Dann ergriff sie seine klamme Hand und hielt sie fest, so als könnte sie seinen alten, gebrechlichen Körper auf diese Weise daran hindern, diese Welt zu verlassen.
    Und Chaya betete.
    Nicht immer waren es fromme Worte, die sie an den Herrn richtete, und so mancher Rabbiner hätte sie vermutlich dafür getadelt. Anklagend waren ihre Gedanken bisweilen, oft auch verzweifelt, und mitunter fragte sie nach dem Sinn, der hinter alldem stehen mochte. Gab es überhaupt einen? War es, wie ihr Vater stets behauptet hatte, tatsächlich Gottes Wille, der all dies geschehen ließ? Oder waren sie dem Zufall ausgeliefert, kleine Sandkörner in einer unendlichen Wüste, ihr Schicksal nicht von Belang?
    Chaya fand keine Antworten auf diese Fragen. In ihrer wachsenden Verzweiflung blieb ihr nur, sich flehend an den Herrn zu wenden und sich ihm ganz anzuvertrauen als das zerbrechliche, schwache Wesen, das sie war – und der Herr schien sie zu erhören.
    Am siebten Tag nach ihrer Ankunft in Attalia schlug ihr Vater erstmals wieder die Augen auf. Sie waren blutunterlaufen und lagen so tief in ihren Höhlen, dass Chaya Angst hatte, sie würden darin versinken. Aber sie nahm es als Zeichen der Besserung.
    Zwar wütete das Fieber noch immer, doch ging es vor allem in den Nächten merklich zurück. Die Abschnitte, in denen der alte Isaac zu sich kam und mit fragenden Blicken um sich spähte, wurden zahlreicher und länger, und Chaya verstand zumindest eines der lautlosen Worte, die er immer wieder sprach.
    S efer.
    Das Buch.
    Chaya wusste nicht, ob sie erleichtert oder wütend darüber sein sollte, dass jener geheimnisvolle Auftrag, der ihn in die Ferne geführt hatte und letztlich der Grund für seinen Zustand war, ihn auch im Fieber noch verfolgte. Zorn erfüllte sie einerseits, wenn sie auf den Köcher blickte, der an einem Wandhaken neben dem Bett ihres Vaters hing, und sie fragte sich, wie ein solch unscheinbarer Gegenstand solche Opfer rechtfertigen konnte. Andererseits war sie froh darüber, ihren Vater überhaupt wieder sprechen zu hören, also antwortete sie ihm und sprach beruhigend auf ihn ein, wollte ihm den Weg zurück ins Leben weisen.
    Eines Nachts – wieder hatte sie am Lager ihres Vaters gewacht und war irgendwann eingeschlafen – wurde sie unerwartet geweckt.
    »Chaya?«
    Jäh schreckte sie hoch. Ein Blick zu den kleinen Fenstern, die unterhalb der Decke in die Wand eingelassen waren, zeigte ihr, dass es draußen dunkel war. Die tönerne Öllampe auf der Truhe, die zusammen mit dem Bett und dem Schemel, auf dem Chaya kauerte, die einzige Einrichtung der kleinen Kammer bildete, war nicht erloschen. Folglich war noch nicht Mitternacht.
    Jetzt erst erinnerte sich Chaya, dass eine Stimme sie geweckt hatte. Sie wandte sich ihrem Vater zu und stellte verblüfft fest, dass dieser sie anschaute. Und obwohl seine Augen glasig waren und von schwarzen Ringen umgeben, schien er seine Tochter zum ersten Mal wieder wirklich wahrzunehmen.
    »V ater?«, fragte sie zaghaft.
    Ein schwaches Nicken war Antwort und Belohnung zugleich.
    »W o …?«, wollte der alte Isaac fragen, aber das Sprechen schien ihm schwerzufallen. Ein schmerzhafter Ausdruck huschte über sein blasses Gesicht.
    » In Attalia«, gab sie zur Antwort, und beruhigend fügte sie hinzu: »W ir sind in Sicherheit.«
    Wieder nickte er. »Das Buch …«
    »Es ist hier.« Sie nahm den Köcher vom Haken und reichte ihn Isaac, der ihn mit zitternden Händen entgegennahm.
    »V ersagt«, flüsterte er dabei. »Ich habe versagt.«
    »Nein, das hast du nicht. Du musst nur wieder gesund werden und zu Kräften kommen, dann …«
    »V ersagt«, beharrte Isaac, wispernd wie der Herbstwind. »Tod und Zerstörung überall. Unsere Feinde sind uns gefolgt.«
    »Nicht hierher, Vater.« Chaya schüttelte den Kopf. »W ir sind hier sicher«, betonte sie noch einmal.
    »Nein, sie sind uns auf den Fersen. Sie wollen das Buch.«
    »Das Buch, Vater?«
    Der alte Isaac schaute sie an, und für einen Moment kam es ihr vor, als blitze in seinen Augen wieder der alte Scharfsinn auf. »Hast du dir je die Frage gestellt, Chaya, weshalb all dies in unserer Zeit geschieht?«
    »W as meinst du, Vater?«
    »Der neue Zorn gegen das Volk Israel. Dieser unselige Feldzug, der Tod und Verderben in das Morgenland trägt.«
    »Doch, natürlich habe ich mich das gefragt. Aber ich habe keine Antwort darauf gefunden, denn Gottes Wille ist

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