Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman
mannigfache Gestalt besaßen.
Zum einen war da das Heimweh, das von vielen Kreuzfah r ern Besitz ergriffen hatte und das in dieser Nacht besonders deutlich zutage trat. Es war das zweite Weihnachten, das die Streiter Christi in der Fremde verbrachten, und vor allem jene, die ihre Familien nicht bei sich hatten, wünschten sich zurück nach Hause und in den Kreis derer, die sie liebten. Andere, die während der harten und entbehrungsreichen Märsche Familienmitglieder verloren hatten, gedachten dieser und vergossen manche Tränen.
Auch der Hunger war nach dem Überfluss der ersten Wochen zurückgekehrt. Nicht nur, dass viele Kreuzfahrer der Genusssucht und der Verschwendung gefrönt hatten, sie hatten es auch versäumt, Vorräte für den Winter anzulegen, da man nicht davon ausgegangen war, dass sich das Wetter dramatisch verändern würde. Genau das war jedoch geschehen. Eisiger Wind fegte vom Meer her über die hügelige Landschaft; in den Nächten wurde es so kalt, dass das Wasser in den Proviantschläuchen gefror; und die höchsten der Berge, die sich im Osten erhoben, hatten schneegekrönte Gipfel. Einige Kreuzfahrer hatten bereits Erfrierungen davongetragen, andere lagen mit Fieber darnieder – und die Schlacht um Antiochia stand erst noch bevor.
Man hatte die Belagerung fortgesetzt, doch abgesehen von der Einnahme der Burg Harenc, die schon im vergangenen Monat erfolgt war, hatte man keine weiteren Erfolge erzielen können. Unweit des nördlichen Stadttores, das die Kreuzfahrer nach dem heiligen Paulus benannt hatten, war ein Kastell errichtet worden, dem sie den Namen Malregard gegeben hatten. Die abwechselnden Besatzungen des eilig errichteten Bollwerks sollten dafür sorgen, dass die seldschukischen Überfalltrupps, die den Kreuzfahrern zuletzt arg zugesetzt und ihre Nachschublinien unterbrochen hatten, die Stadt nicht mehr verlassen konnten. Einen Gegner zu stellen, dessen Taktik darin bestand, unvermittelt zwischen den Felsen aufzutauchen und ebenso rasch wieder zu verschwinden, erwies sich jedoch als mühsames Unterfangen. Auch Conn und seine Freunde h atten schon mehrfach Dienst auf Malregard versehen und es jedesmal als eine Strafe empfunden.
Der Belagerungszustand dauerte folglich noch immer an, und es hatte nicht den Anschein, als ob die Eroberung Antiochias kurz bevorstünde. Das eigentliche Ziel des Feldzugs, Jerusalem und das Heilige Land zu befreien, war ohnehin in weite Ferne gerückt – an diesem Abend allerdings, als sich die Männer frierend um die Feuer drängten und von den Zelten der Mönche leiser Gesang durch das Lager drang, schien es weiter entfernt als je zuvor.
»Brrr«, machte Bertrand und klammerte sich an den Becher mit Würzwein, den er in den Händen hielt. »Ist das eine Kälte! Wer hätte gedacht, dass der syrische Winter so bitterkalt sein könnte?«
»In der Tat«, stimmte Berengar zu, der ihm auf der anderen Seite des Feuers gegenübersaß, das sie im Zelt entfacht hatten. Auch Baldric, Remy und Conn hockten um die Flammen, die Handflächen erhoben, um sie zu wärmen. »Der Herr muss zum Scherzen aufgelegt gewesen sein, als er dies Land erschuf – im Sommer siedend heiß und im Winter eisig kalt.«
»Ein Scherz, über den ich nicht lachen kann, Pater«, meinte Bertrand bibbernd. »Dazu fehlt mir die Gesellschaft eines Frauenzimmers.«
Remy, der neben ihm am Feuer saß, bleckte die schlechten Zähne. »Das Mädchen würde an dir wohl nicht viel Freude haben, halb erfroren wie du bist.«
»Ist das ein Wunder?« Bedauernd blickte Bertrand auf seinen Wanst, der beträchtlich abgenommen hatte. »Noch vor einem Jahr war ich das blühende Leben, und nun seht mich an! Abgemagert bin ich, habe kaum etwas gegessen.«
»Du hattest genug«, beschied ihm Baldric, »in jeder Hinsicht. Dass Hunger und Mangel ins Lager zurückgekehrt sind, ist ein deutliches Zeichen.«
»Allerdings.« Bertrand grinste freudlos. »Dafür, dass wir unsere Sachen packen und zurück nach Hause gehen sollten.«
» Nein!«, widersprach Baldric so laut, dass Conn und die anderen zusammenfuhren. »Sag, bist du von Sinnen? Sollen all die Opfer, die wir bereits gebracht haben, vergeblich gewesen sein?«
Jeder wusste, dass der Ritter es nicht mochte, wenn von Rückzug oder gar von Aufgabe gesprochen wurde – derart heftig hatte er allerdings noch nie reagiert. Vielleicht, dachte Conn, war es ein Zeichen dafür, dass auch der sonst so überzeugte Baldric in diesen Tagen nicht ohne Zweifel war.
»V
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