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Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman

Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman

Titel: Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Übergriffen auf Juden, die den verhängnisvollen Fehler begingen, den Schutz ihres Viertels zu verlassen. Die Stadt glich einem Wespennest, in das man gestochen hatte, und es war nur eine Frage der Zeit, wann sich die drohenden Wolken, die sich über ihr zusammengezogen hatte, in einem blutigen Ungewitter entladen würden.
    »W ie ist das nur möglich, Vater?«
    Chaya schüttelte verzweifelt den Kopf, während sie ein weiteres Kleid aus Seide zu der hölzernen Koffertruhe trug, die mit aufgeschlagenem Deckel in der Mitte ihrer Kammer stand. Sara, ihre Dienerin, hatte sie nach Hause geschickt, damit sie sich um die Ihren kümmern konnte. »Haben wir uns jemals etwas zu Schulden kommen lassen? Haben wir die Christen je unfreundlich behandelt?«
    Isaac schüttelte den Kopf. »Darum geht es nicht, meine Tochter. Schon längst nicht mehr.«
    »W orum geht es dann, Vater?« Sie legte das Kleid zu den anderen in die Truhe und schaute ihn fragend an. »Ich verstehe nicht, was hier geschieht. Woher kommt plötzlich all dieser Hass?«
    »Dieser Hass ist schon immer da gewesen, nur zeigt er sich erst in diesen Tagen. In all den Jahren haben wir als Fremde unter Fremden gelebt. Wir haben es nur vergessen.«
    »Als Fremde?« Chaya schüttelte den Kopf. »V ater, wie kannst du so etwas sagen? Dies ist meine Heimat! Die Stadt, in der ich geboren und aufgewachsen bin. Ich kenne hier jeden Stein und jedes Haus.«
    »Dennoch gehörst du einem Volk an, das keine Heimat hat. Die Zeit des Friedens und der Rast, die uns beschieden war, ist ungewöhnlich lang gewesen, und so haben wir aus den Augen verloren, wer wir sind und woher wir kommen – und dass wir bei allem, was wir tun, stets der Gnade Gottes bedürfen. Nun tragen wir die Folgen unseres Hochmuts.«
    E r schaute ihr zu, wie sie wieder an die große Schrank­truhe trat und ihr diesmal ein silberbeschlagenes Kästchen entnahm, um es ebenfalls in den Koffer zu legen. Er spürte einen schmerzhaften Stich im Herzen, als er die Schatulle erkannte.
    »Die Halskette deiner Mutter«, murmelte er. »Sie wollte, dass du sie eines Tages trägst.«
    »Und deshalb werde ich sie nicht zurücklassen«, sagte Chaya entschlossen und strich sich eine Strähne ihres langen schwarzen Haars aus dem Gesicht. »Sie soll nicht Plünderern in die Hände fallen.«
    »W äge wohl, was du behältst und was du zurücklässt. Du kannst nicht alles mit dir nehmen.«
    »Sicher nicht. Aber Mutters Kette werde ich ihnen ganz sicher nicht überlassen.« Prüfend musterte sie den Inhalt der Truhe, dann hob sie den Deckel, schloss ihn und schob den Riegel vor. »Glaubst du denn, dass wir auf den Besitzungen des Bischofs sicher sein werden?«
    Isaac seufzte. Noch in der Nacht hatte eine Abordnung des Gemeinderats, der neben dem Parnes, dem Rabbiner und Mordechai Ben Neri auch er selbst angehört hatte, bei Erzbischof Hermann vorgesprochen und ihm von dem Vorfall in der Synagoge und vom Mord am Gehilfen des Rabbiners berichtet. Der Erzbischof, ein gemäßigter Mann, der der Idee des großen Pilgerzugs zwar nicht abgeneigt, jedoch den Frieden in seiner Stadt wahren zu wollen schien, hatte sich tief erschüttert gezeigt. Mordechai hatte die Gunst des Augenblicks genutzt, um im Namen der Gemeinde Zuflucht auf den außerhalb der Stadt gelegenen bischöflichen Gütern zu erbitten. Dorthin, so hofften sie, würden Emichos Mordbrenner nicht gelangen, und zu aller Erleichterung hatte Hermann ihrem Ansinnen entsprochen.
    »Ich weiß es nicht«, gab Isaac zu, »aber ich weiß, dass Mordechai in bester Absicht gehandelt hat, vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben. Ohne sein Verhandlungsgeschick und s eine guten Beziehungen zum Bischofspalast hätte es für die Gemeinde wohl keine Hoffnung gegeben.«
    Chaya verzog das Gesicht. »Er wird keine Gelegenheit auslassen, uns darauf aufmerksam zu machen. Nur gut, dass du zur Stelle sein wirst, um ihn daran zu erinnern, dass es nicht immer so gewesen ist.«
    »Das würde ich gerne, meine Tochter. Bedauerlicherweise ist mir dies nicht möglich.«
    »Nein? Warum nicht, Vater?«
    »W eil ich dann nicht mehr da sein werde«, entgegnete der alte Kaufmann schlicht, so als wäre es nur eine Nebensache. Aber Chaya kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass sich gerade hinter dieser demonstrativen Beiläufigkeit oft umwälzende Neuigkeiten verbargen.
    Sie fühlte, wie ihr Gesicht heiß und ihr Nacken eiskalt wurde. »W as soll das heißen, Vater?« Sie ahnte, dass ihr seine Antwort nicht

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