Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman
es Chaya vor, bereits den Geruch des Meeres auf ihren Schwingen trug.
Rasch ging es nach Süden, zurück in dichter besiedelte Gebiete. Zwar gab es am Wegrand Handelsstationen, doch die meisten waren unbefestigt und boten nur unzureichend Schutz vor Räubern und anderem Gesindel; mit den Karawansereien des Ostens, die jedem Reisenden, der dort einkehrte, Schutz und ein gewisses Maß an Annehmlichkeit versprachen, waren sie nicht zu vergleichen. Über Brixen ging es nach Trient, von dort nach Brescia und schließlich nach Mailand, wo Chaya und ihr Vater sich von dem Kaufmannszug trennten und die letzte Etappe ihrer Reise antraten, die sie nach Genua bringen sollte, wo, wenn es dem Herrn gefiel, ein Schiff für sie bereitstand.
Die Nacht nach ihrer Abreise aus Mailand verbrachten sie i n einem Kloster nahe der Stadt Lodi, das Mönche des Benediktinerordens erst vor wenigen Jahren gegründet hatten. Anfangs hatte Isaac gezögert, bei Christen Obdach zu suchen, aber infolge der politisch unsicheren Lage und der kriegerischen Rivalitäten zwischen den oberitalienischen Städten entschloss er sich schließlich doch, an die Klosterpforte zu klopfen. Die Mönche gewährten ihnen Einlass und stellten keine Fragen – entweder war das Misstrauen, das andernorts gegenüber dem Volk Israel herrschte, noch nicht bis hierher gedrungen, oder sie scherten sich einfach nicht darum.
Die Zelle, die man dem Kaufmann und seinem Diener zuwies, mussten Isaac und Chaya sich teilen. Obschon sie nur mit einem kleinen Tisch und einem Schemel möbliert war und die Schlaflager lediglich in der Steinmauer ausgesparte Nischen waren, in denen strohgefüllte Säcke lagen, war es bei Weitem mehr Annehmlichkeit als in vergangenen Nächten. Da es ihnen untersagt war, zusammen mit den Mönchen im Refektorium zu speisen, brachte man ihnen eine Mahlzeit, die aus Oliven, Brot und einem harten, würzigen Käse bestand. Dazu gab es einen Krug Wein. Ob die Nahrungsmittel koscher waren, bezweifelte Isaac zwar ernstlich, aber in Anbetracht der Bedingungen, unter denen sie reisten, hatten sie wohl keine Wahl, als das zu essen, was ihnen zur Verfügung stand. Die Mission hatte Vorrang.
Im flackernden Licht der Kerze, die auf dem Tischchen stand, beobachtete Chaya, wie ihr Vater seinen Mantel ablegte, um sich zur Ruhe zu begeben. Darunter trug er, an einem schräg über die Brust verlaufenden Riemen, den ledernen Köcher, den Daniel Bar Levi ihm am Tag vor der Abreise übergeben hatte. Da Chaya nicht gewusst hatte, dass ihr Vater in jungen Jahren ein feierliches Versprechen gegeben hatte, das ihn auch jetzt noch band, war es für sie eine Überraschung gewesen, den Grund für seine überstürzte Abreise aus Köln zu erfahren. Die Überraschung hatte sie inzwischen überwunden – das Rätselraten um den Inhalt des Behälters jedoch blieb, u nd es war Chaya schon fast zur Gewohnheit geworden, vor dem Einschlafen darüber nachzusinnen.
»Du legst den Köcher niemals ab, weder bei Tag noch bei Nacht«, stellte sie fest.
»So wie es mir aufgegeben wurde«, entgegnete der alte Isaac schlicht.
»V on wem?«
Isaac wandte sich halb zu ihr um. »V on meinem Vater«, entgegnete er nach kurzem Zögern.
»V on deinem Vater?« Chaya, die bereits in ihrer Schlafnische gelegen hatte, richtete sich verblüfft wieder auf. Es war das erste Mal, dass sie auf eine ihrer Fragen Antwort bekam. Offenbar hatte Isaac entschieden, dass sie nach all den Strapazen, die sie ohne Murren ertragen hatte, zumindest ein wenig mehr erfahren sollte.
Issac nickte. Er nahm die Kerze und trug sie zu seiner Schlafstatt, auf deren Rand er sich seufzend niederließ. »Er war einst ein Träger, genau wie ich.«
»Ein Träger?«
Ihr Vater lächelte schwach. »Im Gegensatz zu den Bewahrern, die das Buch über all die Jahrhunderte verborgen und gehütet haben – so wie der gute Daniel.«
»Ein Buch? Das also befindet sich in diesem Behältnis?«
»So ist es. Nicht mehr und nicht weniger. Ist deiner Neugier damit Genüge getan?«
Chaya nickte zögernd – während sie sich gleichzeitig eingestehen musste, dass sie ein wenig enttäuscht war. Natürlich hatte sie aufgrund der Größe und des offenbar auch geringen Gewichts des Köchers angenommen, dass sich ein Schriftstück darin befand, allerdings eines von größerer Bedeutung. Ein alter Vertrag oder eine kaiserliche Urkunde oder …
»Du wirkst ernüchtert«, sagte Isaac, der sie gut genug kannte, um ihre Züge richtig zu deuten.
»Nun, ich
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