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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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die wie kohlenschwarze Löcher inmitten seiner blauroten Kriegsbemalung gähnten. Die Geweihspitzen um seinen Nacken sahen aus wie Knochenenden, die aus seinen Schultern ragten, als steckte da ein Gerippe in diesem Körper, das nur wenig Ähnlichkeit mit dem eines Menschen hatte.
    » Aelvin! «
    Favolas Ruf warnte ihn vor dem gähnenden Abgrund in seinem Rücken. Er spürte den Sog der Leere, sah zugleich Libuses Klingenspitze, die mit einem Mal aus der Brust seines Gegners ragte, sah Favola, die auf ihn zusprang, um ihn festzuhalten, aber nur eine Hand frei hatte, weil die andere die Lumina hielt. Sein Schwert fiel zu Boden, als er versuchte, sich an Favola festzuhalten, an der ausgestreckten Hand vorbeigriff und stattdessen das Gitterwerk des Luminaschreins zu fassen bekam.
    » Vorsicht! «, rief Favola.
    » Nein! «, brüllte Albertus.
    Aelvin verlor endgültig das Gleichgewicht, sein rechter Fuß trat ins Leere. Seine Arme ruderten, und mit dem einen entriss er Favola die Lumina. Er sah den Schrein der heilige n P flanze an sich vorüberfallen, funkelnd wie Gold in der Abenddämmerung. Die Luft erschien jetzt so zäh wie Honig. Er sah die entsetzten Gesichter der anderen, als würden sie nach hinten davongerissen. Dabei war doch er es, der rückwärts stürzte, fort von der Kante, fort von Favola, von Libuse und den nahenden Räubern.
    Kälte und Wasser waren eins – eine Klinge, die ihn von oben bis unten aufzuschlitzen schien, so erbarmungslos war der Schmerz beim Aufprall.
    Er bekam keine Luft mehr, doch das begriff er erst, als er Wasser schluckte und von der eisigen Morava fortgezerrt wurde.
    *
    Libuse ließ das Schwert im Rücken des Räubers stecken, als sie vorsprang, um Aelvin festzuhalten. Doch ihre Hand griff ins Leere. Um sie waren Schreie, von Favola, von Albertus, und irgendetwas rief auch ihr Vater. Doch ihr Blick war starr nach unten gerichtet. Der Luminaschrein wurde als Erster von den Fluten erfasst, nur den Bruchteil eines Augenblicks bevor auch Aelvin die reißende Oberfläche berührte und von ihr fortgewischt wurde wie ein Kreidestrich auf einer Tafel: Im einen Moment war er da, im nächsten bereits verschwunden.
    Libuses Herz gefror, als wäre sie selbst es, die in den Fluten unterging. Sie zögerte, einen lauten, hallenden Atemzug lang, dann tat sie den einen, vielleicht tödlichen Schritt.
    Ohne einen Laut sprang sie hinter Aelvin her in die Tiefe.
    Die Kälte traf sie, als wäre sie auf einem Pferd in rasendem Galopp gegen eine Mauer gesprengt. Für lange Zeit spürte sie gar nichts mehr, war tot, so schien es ihr. Dann aber trieb sie plötzlich wieder an die Oberfläche, starr wie ein Eiszapfen, wurde hin und her geschleudert in den tobenden Fluten wi e e in Stück Treibholz. Sie sah etwas vor sich, einen dunklen Umriss, und dachte, es wäre Aelvin. Doch er war es nicht – es war ein Felsen, auf den sie geradewegs zuschoss und der gewiss ihr Tod gewesen wäre, hätte der wirbelnde Strom sie nicht in einer schicksalhaften Laune beiseite gerissen und daran vorbeischlingern lassen.
    Sie trieb noch immer oben, jedenfalls ihr Gesicht, doch ihre Brust hatte sich vor Kälte zusammengezogen und weigerte sich, Atem zu holen. Etwas streifte sie unter Wasser, aber sie vermochte nicht zu sagen, ob es ein Fels war und ob er ihr den Leib aufriss. Der Schmerz, den sie seit ihrem Eintauchen fühlte, war alles beherrschend. Wasser war in ihren Augen, in ihrem Mund, und sie wusste nicht recht, wo oben und unten war, geschweige denn, was vor und was hinter ihr lag. Sie hatte kein Gefühl für die Geschwindigkeit, mit der sie davongetragen wurde, und wo Aelvin war, ließ sich erst recht nicht erkennen.
    Dunkler Wald und Schnee im Goldlicht der untergehenden Sonne mischten sich zu einem verwirrenden Farb- und Schattenchaos, durchbrochen von der Schwärze der Untiefen.
    Es mochten nur wenige Herzschläge seit ihrem Sprung vergangen sein, vielleicht auch Minuten. Etwas rammte sie. Diesmal heftig genug, um den Schmerzpanzer des Eiswassers zu durchbrechen und einen neuen, scharfen Akzent zu setzen. Plötzlich hing sie fest, in Ästen, ja, einem Baum, der gefällt in der Strömung lag. Ihr Haar hatte sich in den Zweigen verheddert, ihre Arme, ihre Beine wurden von Händen aus Holz gehalten. Neben ihr war schwerer, nasser Stoff, und es dauerte einen Moment, ehe ihr klar wurde, dass er nicht zu ihrem eigenen Mantel gehörte. Noch jemand hatte sich in der gestürzten Baumkrone verfangen.
    Aelvins Gesicht war

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