Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
Hand tastete nach seiner, dann lag Handschuh auf Handschuh. » Darf ich dich etwas fragen? «
» Du küsst mich. Wir erfrieren gerade. Und du willst wissen, ob du mich etwas fragen darfst? «
Wieder das Lächeln. » Du bist doch Schreiber gewesen. Im Kloster, meine ich. «
Er nickte, wenn auch ein wenig verwundert. » Kopist «, sagte er.
» Das heißt, dass du – wenn du dort geblieben wärst – vielleicht dein ganzes Leben lang nichts anderes getan hättest, als das, was andere niedergeschrieben haben, zu kopieren. «
» Schon möglich. Ja. «
» Du hättest immer nur die Gedanken von anderen Leuten aufgeschrieben. Und nie deine eigenen. «
» Wer sollte sich für das interessieren, was ein Novize denkt? «
» Ich. « Sie wehrte ab, als er etwas darauf entgegnen wollte. » Aber darum geht es nicht. Sind die vielen Reiseberichte und all das Zeug nicht auch von ganz gewöhnlichen Mönchen geschrieben worden? Hast du jemals einen davon kopiert? «
» Nein. Aber ich kenne einige. «
» Dann hat irgendwer anders sie abgeschrieben. «
» Sicher. «
» Und derjenige, der das getan hat … glaubst du, er hat diese Reisen nie selbst machen wollen? Selbst etwas erleben wollen? «
Er schaute sich in dem eisigen Kerker um. » Meine Begeisterung für Reisen und Abenteuer hält sich derzeit in Grenzen. «
» Aber wenn du oder irgendein anderer Kopist im Skriptorium sitzt, kommt ihr dann nie in Versuchung, etwas dazuzuerfinden? Ein paar eigene Gedanken einzuflechten? Wahrscheinlich würde niemand das je bemerken. «
» Auf was willst du hinaus? «
» Wie kann man sein ganzes Leben damit verbringen, die Worte anderer Leute niederzuschreiben, wenn es doch auch die eigenen sein könnten? «
» Ich kann nur abschreiben. Das ist wie … ein Initial malen. Linien und Bögen zeichnen und mit Farbe ausfüllen. Etwas zu beschreiben ist etwas ganz anderes. «
» Aber vielleicht könntest du es trotzdem. «
Er zögerte. » Wer weiß. «
» Dann musst du mir etwas versprechen. «
» Küss mich noch mal … dann versprech ich dir, was immer du auch willst. «
Ohne zu zögern gab sie ihm noch einen Kuss, und diesmal schien er eine Ewigkeit zu dauern. Trotzdem nicht lang e g enug. » Schreib alles auf «, sagte sie, als sie ihre Lippen von seinen löste, noch immer ganz nah an seinem Gesicht. » Alles, was passiert ist und noch passieren wird. Wenn wir hier rauskommen, irgendwie – «
» Tun wir nicht. «
» Und wenn doch – dann musst du alles aufschreiben. «
Er seufzte, aber mit einem Mal war da noch etwas anderes. Eben war er mutlos gewesen, gleichgültig, ohne jede Hoffnung – und nun wollte er plötzlich tun, was sie von ihm verlangte. Er wollte aus diesem Gefängnis fliehen, und wenn auch nur, um sein Versprechen einzulösen.
» Ich werd ’ s tun «, sagte er.
Diesmal nahm sie sein Gesicht sanft in beide Hände, während sie ihn küsste. Dafür hätte er ihr versprochen, die ganze Welt mit Lettern zu bemalen.
» Ich dachte, du magst mich nicht mal besonders «, sagte er nach einer Weile.
Sie stupste mit dem Zeigefinger an seine Nasenspitze, schüttelte dann lächelnd den Kopf und gab keine Antwort. Plötzlich aber runzelte sie die Stirn.
» Was ist? «, fragte er.
» Hast du das gehört? «
Er lauschte, aber ihm war noch immer schwindelig, und er hörte nichts als das Rauschen in seinen Schläfen. » Was denn? «
Sie sprang auf, eilte zu dem schmalen Gitterfenster und versuchte im Gehen unbeholfen, den Mantel um ihren Körper zu raffen. Die Öffnung befand sich viel zu hoch in der Mauer, fast drei Kopf über dem ihren.
So rasch, wie er es mit seinen steifen Gelenken zustande brachte, stand Aelvin auf und ging zu ihr hinüber. » Versuch ’ s mal so «, sagte er, lehnte sich unter dem Fenster gegen die Wand und formte mit den Händen eine Art Steigbügel vor seinem Unterleib.
Sie nickte, stellte einen Fuß hinein und stemmte sich auf seinen Schultern nach oben. Sie war leichter, als er erwartet hatte, trotz der dicken Winterkleidung. Sie alle hatten in den vergangenen Wochen zu wenig gegessen, immer nur das Nötigste, um sich auf den Beinen zu halten. Seine eigenen Rippen stachen hervor wie Leitersprossen.
» Siehst du was? «, fragte er.
Sie hielt sich mit den Händen an den Gitterstäben fest und wurde dadurch noch leichter. Ihr Unterleib schwebte direkt vor seinem Gesicht. Ihr Wollmantel hatte sich um Aelvin geteilt und ihn verschluckt.
» Sag schon «, rief er, weil er spürte, dass seine
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