Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
abgehackt, und dann rannten sie auch schon, Seite an Seite, und behielten den Himmel im Auge. Die Steinblöcke trudelten so schnell heran, dass ein Ausweichen fast unmöglich war. Nur ein paar Schritt entfernt blieb ein Wolfskrieger stehen, den Blick nach oben gerichtet, und stieß ein hohes Kreischen aus. Im nächsten Moment hieb ihn ein Felsblock in den Boden wie eine titanische Faust. Die Erschütterung riss Aelvin und Libuse fast von den Beinen. Taumelnd rannten sie weiter.
Der Kerkerbau, in dem einst Tagelöhner und Leibeigene gezüchtigt worden waren, befand sich am rechten Rand des Hofes, nicht weit entfernt vom Ende der Ringmauer. Bis zum Eingang der Miene konnte es nicht weit sein. Und, ja, jetzt trieben die Dunstfetzen auseinander, und dahinter erkannte Aelvin die gähnende Öffnung des Tunnels.
Drei Bogenschützen traten aus dem schwarzen Rechteck ins Tageslicht. Pfeile mit brennenden Spitzen lagen an ihren Sehnen. Breitbeinig bezogen sie Stellung, spannten die Bögen und scho ssen ihre brennenden Pfeile himmelwärts. Die Geschosse zerrissen die Rauchglocke und hinterließen drei dunkle Spuren, die augenblicklich zerstoben. Wie Sternschnuppen jagten sie über die Ringmauer und verglühten.
Das war das Signal für die Männer an den Katapulten. Über die Zinnen kamen keine weiteren Steine.
Hinter den Bogenschützen erwachte die Dunkelheit in den Minen zum Leben. Brüllend ergoss sich eine Flut von gerüsteten Leibern aus dem Felsschlund, schwärmte in alle Richtungen aus und fiel den Verteidigern in den Rücken.
Aelvin und Libuse waren unter den Ersten, die von der Angreiferwelle erreicht wurden.
*
Im Palas der Silberfeste roch es nach Rauch und Tod. Die Leichen der letzten Wolfskrieger, die sich hierher zurückgezogen hatten, waren eben erst fortgeschafft worden. Ritter in rußbeschmutzten, blutbespritzten Harnischen hielten Wache vor dem Portal. Aus dem Inneren drangen Wortfetzen auf den Gang, mehrere Stimmen, die sich zu einem wirren Durcheinander vermischten.
» … alle getötet … «
» … die Leichen verbrennen … «
» … was geschieht mit Gefangenen … «
» … mehr Verluste, als wir gehofft hatten … «
Und zuletzt, als die Wächter auf der Schwelle auseinander traten und die beiden Besucher passieren ließen: » Da kommen sie. «
» Aelvin! « Favola drückte Albertus den Luminaschrein in die Hände und stürmte Aelvin entgegen. Er nahm sie in die Arme und ließ sie lange Zeit nicht mehr los. Libuse flog an ihnen vorüber und drückte ihren Vater an sich, der zwischen Albertus und dem König stand. Einige Ritter legten besorgt die Hände an ihre Schwertgriffe, als das Mädchen mit der wilden Mähne ihrem Herrscher derart nahe kam. Stefan gab ihnen mit einem Wink zu verstehen, dass keine Gefahr bestand, doch ihre grimmigen Mienen blieben.
» Wir dachten, ihr seid tot «, flüsterte Aelvin in Favolas Ohr. Er erkannte ihren Geruch wieder, trotz des Rußes in ihrem Haar. Früher war das Teil ihrer Ausstrahlung gewesen, aber jetzt nahm er jedes ihrer Merkmale von neuem wahr, so als müsste sich erst wieder eine Summe daraus ergeben.
Tränen liefen über ihr schmales Gesicht, das bleicher aussah, als er es in Erinnerung gehabt hatte. » Wir dachten dasselbe von euch … Gott, es ging alles so schnell. Du bist gestürzt, und Libuse ist hinterher gesprungen. Dann kamen auch schon die Männer des Königs auf ihren Pferden und … sie erschlugen alle Räuber und – «
» Die Reiter unten am Fluss? «
Sie nickte aufgeregt. » Sie waren unterwegs, um sich Dragutins Zug anzuschließen. Sie haben uns das Leben gerettet. «
Albertus kam auf ihn zu, den Schrein im Arm, und legte Aelvin eine Hand auf die Schulter. Auch er lachte, mit weit mehr Wärme, als Aelvin ihm zugetraut hätte. » Es ist gut, euch wieder zu sehen. Wir haben für euch gebetet, immer wieder. Aber dass ihr noch am Leben seid … « Er schüttelte den Kopf. » Bei allen Heiligen, wer hätte das gedacht! «
Corax hielt Libuse fest umschlungen. Aelvin beobachtet e d ie beiden einen Moment lang, während er immer noch Favola im Arm hielt, und für einen Augenblick stiegen Schuldgefühle in ihm auf. Dann spürte er, dass auch Favola weinte. Er legte seine Hand an ihren Hinterkopf und drückte sie noch enger an sich.
» Offenbar ist keinem ein Leid geschehen «, stellte Albertus fest, » und das ist wahrlich ein Wunder. «
» Gabriel … «, sagt Aelvin mit einem Blick auf die Lumina.
» Ist er tot? «
» Nein. «
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